Tunten – Aufzucht und Pflege
Kapitel 15: Die rosa Camorra
Da ich nicht geboren wurde, um jedermanns Liebling zu sein, wage ich es, im letzten Kapitel ein heißes Eisen anzufassen: die rosa Camorra. Strukturen, wie man sie sonst nur aus dem Vatikan oder von der Mafia kennt, haben sich in den letzten Jahrzehnten auch innerhalb der Gay-Community etabliert. 
Vor allem im Umfeld von Aidshilfen und Stiftungen. Zur Einordnung: Meine Beobachtungen beziehen sich auf die Zeit bis etwa 2012. Mit dem Auftreten von HIV und AIDS in den frühen 1980ern entstanden die ersten Aidshilfen. Anfangs taten sie genau das, was der Name versprach: HELFEN. Besonders in Köln engagierten sich schwule Aktivisten wie der ehemalige Pastor Rainer Jarchow, Jean Claude Letist und Georg Roth uneigennützig gegen die Seuche; und zwar lange bevor staatliche Stellen reagierten. Letist, ein Belgier, verstarb 1990 an AIDS und wurde mit einem eigenen Platz geehrt. Georg Roth erhielt 2006 das Bundesverdienstkreuz.
Mit Idealismus und kaum Geld entstand damals ein Netzwerk, das Betroffene beriet, betreute und bis in den Tod begleitete. Pastor Jarchow gründete später gemeinsam mit dem Verband der Privaten Krankenversicherungen, dem DRK und der Mercedes-Benz AG die Deutsche AIDS-Stiftung in Bonn. Diese ist unabhängig von den Aidshilfen und sammelte bis heute über 29 Millionen Euro für Betroffene. Neben ihr existieren weitere Stiftungen, die Bedürftigen Zuschüsse für den Alltag gewähren. Sofern der Antrag bewilligt wird. Natürlich sind ihre Mittel begrenzt; man kann sie schlecht mit der ‚Bill-and-Melinda-Gates-Foundation‘ vergleichen, die über ein 46 Milliarden US-Dollar ‚legales Steuervermeidungsvermögen‘ verfügt.
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Bereits 1991 begannen Bund, Land NRW und Stadt Köln, sich aus der finanziellen Verantwortung zu stehlen, und das trotz steigender Infektionszahlen. Folge: Viele praktische Hilfsangebote mussten gestrichen werden. Ursprünglich standen in der Satzung der Kölner Aidshilfe, gegründet 1985, Werte wie Selbsthilfe, Solidarität, Ehrenamt und Gesundheitsförderung. 1986 startete man mit drei Hauptamtlichen und 30 Ehrenamtlern. Und heute sind es über 30 Angestellte. Der Preis: ein bürokratisches Monstrum. Die ständige Kontrolle durch Behörden trieb die Aidshilfe beinahe in die Insolvenz. Nur durch den Einsatz von Prominenten, Spendern, Ein-Euro-Jobbern und zahlreichen Ehrenamtlichen konnte sie überleben. Wie sollte da noch Zeit und Geld übrigbleiben, um die es in den Statuten der Vereinssatzung eigentlich geht? Den Betroffenen mit HIV und AIDS!
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Kein Wunder also, dass viele Betroffene eigene private Initiativen gründen. Meist ohne die Millionenetats der Deutschen AIDS-Hilfe >DAH<, die über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung >BZgA< jährlich rund 3,5 Millionen Euro Steuergeld erhält. Und wofür? Für sinnfreie Werbekampagnen und Verwaltung. Vielleicht sollte man den Namen ehrlicherweise in AIDS-Beratung statt AIDS-Hilfe ändern. Denn effektiv geholfen wird dort nur wenig. Dieses ganze „Wir müssen reden“-Blabla nützt HIV-Infizierten, die am Existenzminimum leben, rein gar nichts. Wer mit HIV lebt, braucht selten noch Ratschläge, sondern echte Unterstützung im Alltag. Arzt, Apotheker, Internet und Selbsthilfegruppen liefern genug Information. Das eigentliche Problem ist Armut: Viele scheiden mit 45 bis 50 Jahren krankheitsbedingt aus dem Beruf aus, ihre Erwerbsminderungsrenten sind kümmerlich. So führt der medizinische Fortschritt ironischerweise nicht in die Freiheit, sondern in die soziale Verelendung.
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Praktische Hilfe? Fehlanzeige. Laut Hausblatt bietet die Kölner Aidshilfe keine echten Hilfsleistungen mehr an. Dafür aber glänzend gestaltete Imagekataloge, teuer wie Luxustaschen. 50.000 Euro Steuergeld; für den Müll. Wörtlich. Denn als ein Mitarbeiter gekündigt wurde, ließ man die ganze Auflage einstampfen. Der Grund für seine Kündigung? Er hatte öffentlich gemacht, dass er sich im Sling-Raum der Phoenix-Sauna ohne Gummi vergnügt hatte und sich als HIV-positiv geoutet. Beides war laut Arbeitsvertrag unerwünscht. Ich frage mich: Würde die Deutsche Krebshilfe ihre Mitarbeiter feuern, wenn sie Krebs bekommen?
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Neben dem Mittagstisch gibt’s noch den Frauentreff, Kaffeeklatsch mit Themenbezug und das monatliche Treffen der reifen Herren mit den jungen Positiven, eine Art generationsübergreifender Fleischbeschau. Aber warum schafft es die Kölner Aidshilfe nicht, etwas wirklich Inklusives auf die Beine zu stellen? Veranstaltungen, bei denen alle, ob positiv oder nicht, einfach als Menschen zusammenkommen? Anerkennung verdienen hingegen die ehrenamtlichen Helfer, besonders jene im Lebenshaus Köln. Dort leben HIV-Positive, die nicht mehr allein klarkommen, in einer bungalowartigen Einrichtung in Köln-Longerich, ursprünglich das Hospiz der Aidshilfe.
Auch die Zivildienstleistenden leisten bei der AH viel: Kurierfahrten mit dem gesponserten ‚Aktion-Mensch‘-Auto, Empfang, Organisation. Leider endet hier das Lob. Denn laut Bewohnern des Lebenshauses kümmert sich die AH herzlich wenig um ihr Wohl. Trotz für teures Geld von einer Werbeagentur erstelltem Herzsymbol im neuen Logo. Spendenaktionen wie das ‚Sommerfest im Lebenshaus‘, ‚Cover Me‘, initiiert vom wunderbaren, aber viel zu früh verstorbenen Dirk Bach, oder der ‚Club 500‘ lassen die Kassen klingeln. Trotzdem gibt’s für die Bewohner weder Weihnachts- noch Geburtstagsgeschenke. Offenbar versickert das Geld wieder im Heiligtum der Selbstverwaltung.
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Klingt alles beeindruckend, oder? Ist es aber nicht. Als Kaufmann wollte ich wissen, wie’s finanziell wirklich aussieht. Also warf ich einen Blick in den Jahresabschluss 2007 des Schwulen Netzwerks NRW. Und siehe da: Nach ein paar Seiten Klagelied über drastische Kürzungen stolpert man über eine ‚armselige‘ Jahressumme von 270.000 Euro. Von diesen Tränen im Portemonnaie blieben nach Abzug der Verwaltungskosten sage und schreibe 29.948,64 Euro übrig. Angeblich für ‚Vernetzung, Fortbildung und Selbsthilfe‘ für sieben Einrichtungen in ganz NRW! Cosa Nostra, bitte mitschreiben: So geht moderner Klüngel. Die karnevalistische 11,11%-Quote floss also tatsächlich in Projekte; die restlichen 88,89 % verdampften im Verwaltungsofen. Ob in Rauch, Rotwein oder Reisekosten, bleibt offen.
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Ambulant Betreutes Wohnen. Klingt sozial, ist aber vor allem ein lukrativer Markt. Offiziell geht es um Hilfe zur Selbstständigkeit und Teilhabe, geregelt im SGB XII, finanziert vom LVR. In der Praxis tummeln sich hier dieselben großen Player wie Malteser, DRK, Caritas und Dutzende private Firmen. Allein in Köln sind es über 60. Und natürlich folgt auch die Aidshilfe Köln brav der Spur des Geldes. Für Betroffene bleibt am Ende oft: eine kostenlose Beratung, wenn’s gut läuft – und ein Flyer fürs gute Gewissen. Dann das Drogenhilfe-Angebot: Auch hier zeigt man sich engagiert. Laut Website elf Spritzenautomaten in Köln. Nur: Es gibt niemanden mehr, der sie auffüllt. Hauptsache, das Image stimmt. Die wirkliche Arbeit überlassen sie kompetenteren Trägern, wie der Drogenhilfe Köln, die tatsächlich Beratung, Therapie und Notschlafstellen anbietet. Ich sag’s mal so: Wer sich Hilfe bei der Aidshilfe sucht, landet meist bei der Hotline, nicht bei Hilfe.
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Und dann der Paukenschlag: der neue Hauptsitz in der Pipinstraße 7, der 2022 feierlich eröffnet wurde und allein der Aidshilfe Köln 1,5 Millionen Euro aus Eigen- und Stiftungsmitteln gekostet hat. Woher das Geld stammt? Offiziell: aus Spenden. Inoffiziell? Vielleicht auch aus erbrachten ‚Leistungen‘, die eher auf dem Papier stattfanden. Doch dank der ehemaligen Vorständin und Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes sitzt man nun in Bestlage und zahlt eine Traum-Miete von 8 Euro pro Quadratmeter für 20 Jahre. Das Beste daran ist, dass die Aidshilfe als Hauptmieter natürlich untervermieten darf: zu ortsüblichen 20 oder 25 Euro pro Quadratmeter. So wird aus Hilfe plötzlich Immobilienwirtschaft. Unter den Untermietern befinden sich eine Ambulanz und ein Labor. Ein langjähriger vorheriger Mieter, Looks e. V., das Stricherprojekt, musste jedoch zuvor ausziehen. Zu teuer? Zu ehrlich? Oder war es einfach nicht mehr schick genug für die neue Hochglanz-Fassade?
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So langsam verblasst mein aufgezeichneter Regenbogen, und ich nähere mich, nach den vorherigen, teils traurigen Kapiteln, dem Ende dieses Werkes. Es würde mich freuen, wenn der eine oder andere Beitrag dazu beitragen konnte, ein besseres Verständnis für die Welt von uns gleichgeschlechtlich Liebenden zu vermitteln. Wie zu Anfang erwähnt, unterscheidet uns, in der Gesellschaft, in der wir leben dürfen, wollen und müssen, außer unserer andersartigen Sexualität in nichts von dem, was heterosexuelle Mitmenschen tagtäglich erleben, erleiden, erdulden, ertragen und hinnehmen müssen. Vielleicht ist es mir mit meinen vorherigen Ausführungen gelungen, für mehr Toleranz und Akzeptanz einzutreten und unsere Verschiedenartigkeit einfach zu akzeptieren. Angefangen bei uns vom Jagdfieber gebeutelten Schwulen. Ich wünsche mir einen friedlichen und respektvollen Umgang miteinander und dass wir aufhören, die Gefühle anderer Menschen mit Füßen zu treten.
Vielleicht schaffen wir es, uns die Liebe zu geben, die wir von anderen erwarten. Denn nur, wer in der Lage ist, sich selbst zu lieben und bedingungslos anzunehmen, wird auch die Liebe seiner Mitmenschen spüren können. Lasst uns also aufhören mit unserer Ignoranz, Intoleranz und Unehrlichkeit in allen Lebensbereichen und uns dessen bewusst werden, was wir sind: Jeder Einzelne von uns ist ein einmaliges Wunder der Natur! Zum Abschluss wünsche ich mir, als Verfechter des positiven Denkens, von ganzem Herzen, dass mich meine angeborene spirituelle Seite zukünftig vor den zahlreichen Klemmschwestern bewahrt. Und dass kein kaukasischer Schafhirte, der mir in Träumen erscheint, mich zu sexuellen Dingen zwingen kann, die ich im realen Leben niemals praktizieren würde.
– ENDE –
Schwulenwitz 15:
Der Zahnarzt will sich gerade über einen schwulen Patienten beugen und zu bohren anfangen, als er plötzlich aufschreckt. Arzt: „Kann es sein, dass sie ihre Hand an meinen Hoden haben?“ Der Schwule: „Genau, Herr Doktor. Und wir wollen uns ja nicht gegenseitig wehtun, oder?“
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