= L E S E P R O B E N =

NaP – Themen E – H

Von der Ehe Von der Ehrlichkeit Von den Emotionen
Von den Feiertagen Von der Freiheit Von der Freude
Von der Freundschaft Von der Gewalt Von der Globalisierung

Von der Hoffnung

Von der Ehe

>Steht zusammen, doch nicht zu nahe beieinander, denn auch des Tempels Säulen stehen einzeln; und weder Eiche noch Zypresse gedeihen im Schatten des anderen. Khalil Gibran<

Khalil Gibran


Als Ehe >v. althochdeutsch: ewa = Vertrag, rechtssprachlich hist.: Konnubium< bezeichnet man eine sozial anerkannte und durch >Rechts-< Regeln gefestigte Lebensgemeinschaft, traditionell gesehen von Mann und Frau, Ehegatten oder auch Ehepaar genannt >Quelle: www.wikipedia.de<.


Entschuldigt bitte, wenn ich da einen völlig anderen Blickwinkel zum Thema Ehe habe. Auch als offen schwul lebender Mann maße ich mir an, zu diesem scheinheiligen Sakrament meinen Senf beizutragen. Und ja, es wird kein milder Senf. Sollten meine Ansichten sarkastisch klingen, dann betone ich ausdrücklich: Ich bin kein Gegner der Ehe! Der Sarkasmus hat sich einfach, wie ein schlecht erzogener Chihuahua, in mir verselbständigt. Ich kann nichts dafür. Ehrlich! Vielleicht hilft dieser Beitrag aber, den einen oder anderen heiratswütigen Kandidaten vor noch größerem Unheil zu bewahren. Und ja, ich bin mir bewusst, dass ich mir damit den Zorn geistlicher Würdenträger und christlicher Verfechter zweigeschlechtlicher Paarungsversuche zuziehe. Aber was soll’s? Ich nehme es mit der mir eigenen, tiefen, buddhistisch anmutenden Gelassenheit.

Eigentlich könnte der Begriff Ehe ohnehin aus unserem Wortschatz gestrichen werden. Ein ehrlicher Ersatz wäre: Zweckgemeinschaft. Denn, Hand aufs Herz: um nichts anderes handelt es sich in den allermeisten Beziehungen. Doch zunächst, ausgehend von der biblischen Schöpfungsgeschichte, wenn sie denn so stattgefunden hat, wie sie geschrieben steht: Gott, der Gerechte, schuf Adam. Natürlich zuerst den Mann, wer sonst? Und dann Eva. Eine Hochzeitszeremonie der beiden? Fehlanzeige! Wer hätte sie auch trauen sollen? Ich stelle mir den lieben Gott ja als freundlichen, älteren Herrn mit Rauschebart vor. So einer, der lieber Tee trinkt, als Menschen in Versuchung führt. Und dieser Gott soll Eva wegen eines wurmstichigen Apfels, der eh bald runtergefallen wäre, in die ewige Verdammnis gestürzt haben? Klingt nicht nach göttlicher Logik, eher nach kirchlicher PR. Diese merkwürdige Geschichtsverfälschung verdanken wir wohl weniger dem Schöpfer selbst, als vielmehr jenen moralischen Buchhaltern im Vatikan, die seit Jahrtausenden ein einziges Ziel verfolgen: ein Feindbild gegenüber Frauen aufzubauen. Und fleißig zu pflegen. Wie das Paar Adam und Eva schließlich aus der hebräischen Urfassung in die christliche Bibel hineingeschmuggelt wurde, muss ich wirklich nicht verstehen. Ich bin Autor, kein Theologe mit Verschwörungslizenz.

Der Verzicht auf eine verschwenderische, religiös inszenierte Ehe spart den Heiratswilligen vor allem eins: Zeit, Nerven, Streit und Geld. Und dieses Geld ließe sich deutlich sinnvoller einsetzen. Zum Beispiel für eine wertebasierte Erziehung: Achtsamkeit, Verantwortung, Fürsorge, Sparsamkeit, Genügsamkeit, Dankbarkeit und Demut. Nicht die schlechtesten Zutaten für die Zukunft einer Gesellschaft, in der heute schon Kinder glauben, Empathie sei eine neue App. Leider wird genau das, was unsere Nachkommen bräuchten, von den Eltern kaum vorgelebt. Dabei wäre der Nutzen enorm: Kinder, die sich trauen, Ja oder Nein zu sagen. Kinder, die klar denken, sich entscheiden können, loyal sind, und deren Rückgrat mehr aushält als ein Selfiestick. Würden diese Werte in Beziehungen gelebt, wäre die deutsche Scheidungsrate vermutlich nicht mehr Thema für jede zweite Talkshow.

Und nun komme ich zu meinem Lieblingsprojekt: dem Partnerschafts-Tauglichkeits-Führerschein, kurz PTF, oder volkstümlich: der Ehe-Schein. Zwei Klassen, ganz einfach. Klasse MK: mit Kindern. Klasse OK: ohne Kinder. Falls sich jemand später umentscheidet: kleine Nachschulung, fertig. Ich schwöre: Hätte es diesen Führerschein 1978 schon gegeben, ich wäre nie in den Stand der Ehe eingetreten und hätte das Aussterben meiner Familienlinie in Kauf genommen. Ohne Reue! Nur wer den PTF bestanden hat, darf künftig standesamtlich heiraten. Ganz offiziell. Die Unterrichtsstunden für diesen Befähigungsnachweis könnte man bequem im Sexualkundeunterricht der 4. bis 7. Klasse unterbringen. Da lernen die Kinder ohnehin alles über Pubertät, Orgasmen, Menstruation, Schwangerschaft. Aber bedauerlicherweise nichts über die eigentlichen Bausteine einer Beziehung. Wie Kommunikation, Respekt, Verantwortung, Loyalität. Kurz gesagt: das Zeug, das Ehen retten würde. Denn das, was viele Eltern ihren Kindern auf diesem Gebiet vorleben, taugt meist nicht mal als abschreckendes Beispiel in einem Pädagogikbuch. Nach bestandener Prüfung gäbe es weniger Scheidungen, weniger Kinderleid, und unsere Volkswirtschaft würde Milliarden sparen. Ein staatlich geprüfter Liebesführerschein also, mit Erfolgsgarantie und vermutlich besserer Quote als die meisten Ehen selbst.

Eines sollten sich Paare, egal ob mit oder ohne Trauschein, immer bewusst machen: Wer mit seinem Partner 60 bis 70 Prozent seiner Bedürfnisse, Werte, Kommunikation, Sexualität, Streitkultur und Freizeitgestaltung ausleben kann, der darf sich glücklich schätzen. Ja, wirklich glücklich. Das Problem beginnt dort, wo man meint, die fehlenden 30 Prozent unbedingt noch irgendwo finden zu müssen. Und zwar außerhalb. In einer ehrlichen Beziehung ist das kein Drama. Vorausgesetzt, der Partner weiß davon und hat zugestimmt. Ein Beispiel: Einer von beiden ist bisexuell und möchte das gelegentlich ausleben. Sagt der andere „Mach ruhig – aber nach Regeln“, dann ist das erwachsene Ehrlichkeit. Sagt er „Kommt gar nicht infrage!“, ist Schluss. Besser früher als später. Denn eines ist sicher: Niemand kann seine Bedürfnisse auf Dauer unterdrücken, ohne irgendwann implodierend in einem IKEA-Schlafzimmer zu enden.

Und damit sind wir auch schon beim Spaßteil: Wie es einem einzigen Mann gelungen ist, durch den Nestbautrieb von Singles, Paaren und Wiederholungstätern, zu einem der reichsten Menschen der Welt zu werden. Die Rede ist natürlich von Ingvar Kamprad, dem Möbel-Messias aus Schweden. 1943, gerade einmal 17 Jahre alt, gründete er in seinem Dorf das spätere Milliardenimperium IKEA. Der Name, kleine Bildungspause, setzt sich zusammen aus: Ingvar Kamprad, Elmtaryd, der elterliche Hof, und Agunnaryd, seinem Geburtsort. Ein Meisterwerk in Sachen Geschäftssinn; denn Kamprad hat es verstanden, dass kaum etwas beständiger ist, als menschliche Unbeständigkeit in Beziehungen.

Das System IKEA funktioniert nämlich so: Wir werden flügge, ziehen aus dem Elternhaus aus und brauchen Möbel. Wohin also? Richtig. zu Herrn Kamprad, in den Tempel der Selbstmontage, wo es Köttbullar und Kaffee satt gibt. Dann, irgendwann, finden wir den einen Partner fürs Leben. Und was passiert? Richtig, wir ziehen zusammen! Und natürlich: wieder zu IKEA. Wir richten uns ein, harmonisch, gemütlich, feng-shui-gerecht, bis das Schicksal beschließt, uns ein Kind zu schenken. Da kommt Freude auf! Also, abermals: Richtig geraten: zu IKEA! Dieses Mal für das komplette Kinderzimmer. Mit Spielbogen, Wickelkommode und unerschütterlicher Hoffnung. Und dann, mitten im rosaroten oder himmelblauen Familienglück, meldet sich die Realität mit einem lauten Rrrrt! Bumms: Scheidung!

Ein Säugling braucht etwa 2 200 Windeln im Jahr. Jede ein Hightech-Produkt aus Zellstoff, Chemie, Energie und elterlichem Schuldgefühl. Für die Herstellung: Dampf, Strom, Wasser in Mengen, dass selbst ein Gletscher ins Schwitzen käme. Und das nur, damit wir das Ergebnis menschlicher Fortpflanzung hübsch verpacken können. Für den Herstellungsprozess werden zudem in Urwaldregionen Bäume gefällt, die mittels gewaltiger globaler Transportbewegungen noch ihren Weg in die Zellstofffabriken finden müssen. Bei einigen Pampers stellt sich für mich auch noch die Frage, warum diese unnötig mit allerlei buntem Getier aufwändig und zusätzlich umweltschädigend bedruckt werden. Mir ist weltweit kein einziger Fall bekannt, in dem ein stimmgewaltiges Quitschi deshalb früher stubenrein geworden ist. In eine psychiatrische Behandlung gehören für mich auf jeden Fall die Windelfetischisten, die ihr Kind bis zu dessen Einschulung, und darüber hinaus, unnötig mit diesen Energiefressern zwecks Inkontinenzversorgung ausstatten. Einen Kommentar zu Pampers tragenden Erwachsenen beiderlei Geschlechts zwecks sexueller Stimulation erspare ich mir an dieser Stelle.

Nachfolgend erwähne ich ein paar knallharte und nicht wegzudiskutierende Fakten die ich von Seiten des Statistischen Bundesamt entnahm: Im Jahr 1900, also noch in der Ära des Zylinders und der Züchtigkeit und dem ersten Jahr der statistischen Erfassung, gab es 9.152 Scheidungen bei 476.491 Eheschließungen im gleichen Jahr. Das entspricht einer Scheidungsquote von 1,9 %. 105 Jahre später betrug die Zahl der Scheidungen 213.975 und schraubte die Scheidungsquote gegenüber den Eheschließungen auf ein Rekordhoch von 51,92 %. Das bedeutet, dass in diesem Jahr mehr Ehen geschieden als geschlossen wurden. Die meisten Scheidungskinder sind bei einer Trennung zwischen drei und dreizehn Jahre alt. Bei dem hohen Risiko, geschieden zu werden, stellt sich mir die Frage, ob ich in ein Flugzeug einsteigen würde, wenn ich befürchten müsste, dass dieses mit einer Wahrscheinlichkeit von über 40 % abstürzen wird? Ganz sicherlich nicht! In der Realität müsste ich jedoch 10.000.000 Mal in einen Flieger einsteigen, nur um einen einzigen Absturz zu erleben. Zumindest bis zum Aufprall.

Zum Schluss stellt sich mir die Frage, ob die Ehe im klassischen Sinn überhaupt noch zeitgemäß ist. Nach der anfänglichen großen Liebe und dem geschlossenen Bund, der bis zum Tod halten soll, bleibt bei über einem Drittel aller Ehen am Ende oftmals nur Gewalt, Arbeitslosigkeit, finanzieller Ruin, Altersarmut, soziale Ausgrenzung, der Verlust des Freundeskreises, Krankheit, Freitod und im schlimmsten Fall tödlich endende Familiendramen. Hier noch einige weniger lustige Fakten als Folge des Experiments Ehe: Nach der Scheidung landen 85 % der ehemaligen Traumtänzer samt ihrer Kinder als Akte bei den zuständigen Sozialämtern. Ein Leben mit dem Sozialhilferegelsatz, bezahlt von an dem Chaos nicht beteiligten Steuerzahlern, bedeutet oft ein Leben an der Armutsgrenze. Der durchschnittliche Schuldenberg geschiedener Ehepaare beträgt circa 7.500 Euro. Dieser Betrag wird sich nach einer Scheidung noch um ein Vielfaches erhöhen. Ist das der Sinn der Ehe?

Und eines Nachmittags, als ein altes Ehepaar im Park an mir vorbeiging: er taub, sie laut, blieb ein junger Mann stehen und fragte mit einem Seufzen in der Stimme: „Sag, was ist die Ehe?“ Und ich antwortete leise: „Die Ehe ist kein Vertrag, sondern ein Versuch. Ein Versuch, das Alleinsein zu teilen, ohne sich selbst zu verlieren. Sie ist schön, wenn zwei sich ergänzen, und gefährlich, wenn einer sich aufgibt. Viele verwechseln Nähe mit Besitz und Liebe mit Sicherheit. Doch die Liebe kennt keine Sicherheiten. Nur Vertrauen. Darum ist die Ehe kein Hafen, sondern ein Meer, auf dem man lernt, Stürme zu überstehen. Und wer glaubt, dass Treue nur im Standesamt beginnt, hat vergessen, dass sie im Herzen geboren wird. Denn keine Unterschrift der Welt kann retten, was zwei Herzen längst gekündigt haben.“

Aus dem Gibran-Zyklus von Mike Schwarz © 2025  

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Von der Ehrlichkeit

> Und ihr Richter, die ihr gerecht sein wollt, welches Urteil sprecht ihr über jemanden, der in seinem Fleische ehrlich ist, in seinem Geist aber ein Dieb? Khalil Gibran <


Die Ehrlichkeit bezeichnet eine charakterliche Eigenschaft, die gekennzeichnet ist durch Merkmale der Aufrichtigkeit, Lauterkeit und Wahrhaftigkeit im zwischenmenschlichen Umgang, die Wahrheit von Aussagen und Handlungen betreffend. Die Ehrlichkeit bildet den Gegenpol zu negativen Eigenschaften wie Verlogenheit, Unaufrichtigkeit, Verschlagenheit oder Hinterhältigkeit. Die Ehrlichkeit schließt Verhaltensweisen wie Täuschung, bewusste Irreführung und Ähnliches aus. Die Ehrlichkeit ist nicht gleichzusetzen mit naiver Mitteilsamkeit oder undifferenzierter, verletzender bzw. taktloser vermeintlicher Aufrichtigkeit, welches tatsächlich eine Form der Aufdringlichkeit >Penetranz<, Impertinenz oder unerwünschter Eindringlichkeit sein kann. >Quelle: www.wikipedia.de<.


Auch wenn das Wort Ehrlichkeit in unserer Gesellschaft fast verloren gegangen zu sein scheint: Für mich bleibt sie eine der wichtigsten Charaktereigenschaften eines Menschen. Ich gehe heute so ehrlich wie möglich mit mir selbst um, denn es bringt mir nichts, mir selbst etwas vorzumachen. Im Umgang mit meinen Mitmenschen war ich früher allerdings nicht immer so ehrlich. Meine größte Lebenslüge war meine damalige Heirat im Jahr 1978, die ich einzig aus gesellschaftlicher Erwartungshaltung heraus eingegangen bin. Nicht nur meiner Frau, sondern auch meinen beiden Söhnen wäre viel Leid, Enttäuschung und Kummer erspart geblieben. Wenn ich damals als schwuler Mann zu meiner Orientierung gestanden hätte. Doch wer die homophobe Enge jener Zeit und die dörflichen Rahmenbedingungen kennt, wird verstehen, warum ich so handelte. Dennoch stehe ich zu dieser Entscheidung und bereue sie nicht. Sie hat mir Erfahrungen geschenkt, die ich sonst nie gemacht hätte.

Wenn ich heute noch einmal vor derselben Wahl stünde, würde ich anders handeln: Ich würde zu mir und meiner Sexualität stehen. Aufgrund meiner eigenen, jahrelangen Erfahrungen als Bisexueller, für den ich mich in den letzten Ehejahren fälschlicherweise ausgab, habe ich auch heute noch ein Problem mit Bisexualität. Ich bin der Meinung, ein Mensch sollte bei seiner sexuellen Orientierung eine klare, also ehrliche Position beziehen: entweder hetero oder homosexuell. Es gibt ja schließlich auch nicht ein bisschen schwanger. Ich kenne die Verlogenheit von bisexuellen Männern, deren Frauen nichts davon wissen, dass sie auch Sex mit Männern haben. Trotz der bekannten Risiken von HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten praktizieren sie diesen Sex häufig ungeschützt, also ohne Kondom. Ehrlich, in meinen Augen, wären diese Männer erst, wenn sie ihren Partnerinnen die Wahrheit sagen würden. Wenn dann alle Beteiligten mit offenen Karten spielen und das Risiko gemeinsam tragen, ist das vollkommen in Ordnung.


Ich schlage nun einen großen Bogen von verlogenen sexuellen Ausrichtungen hin zu den Jüngsten jeder Gesellschaft. Den Kindern. Kinder sind von Natur aus gnadenlos ehrlich. Manchmal bis zur Peinlichkeit. Sie sagen dir ohne Umschweife, dass du riechst, alt aussiehst oder fett geworden bist. Irgendwann bringen wir ihnen bei, dass man so etwas nicht sagt. Wir nennen es Erziehung, doch in Wahrheit ist es ein Training in gesellschaftlich akzeptabler Verlogenheit. Später, in der Pubertät, flammt die radikale Ehrlichkeit kurz wieder auf: Teenager sagen dir die Wahrheit, meist ungebeten und oft ungeschminkt. Doch kaum werden sie erwachsen, wird ihnen diese Ehrlichkeit wieder abtrainiert, weil sie unbequem ist. Man lernt, dass es im Leben weniger darauf ankommt, ehrlich zu sein, als ehrlich zu wirken. So entsteht aus kindlicher Offenheit das elegante Lügenlächeln der Erwachsenenwelt.

Wer zwischen den Zeilen liest, hat sicher bemerkt, dass ich schrieb, ich sei heute zu mir ehrlich. Das war nicht immer so. Als Kind lernte ich, um Strafen zu entgehen, die Wahrheit zu verbiegen. Auch Lügen kann man lernen: Und ich wurde darin richtig gut. Wenn es darum ging, einer Strafe zu entkommen, wurde ich zum Weltmeister der Täuschung und Irreführung. Irgendwann glaubte ich meine eigenen Lügen und trug sie mit solcher Überzeugung vor, dass selbst Richter und Staatsanwälte manchmal Milde walten ließen. Kurioserweise wurde ich oft dann milde behandelt, wenn ich wirklich etwas ausgefressen hatte: und zu hart, wenn ich mich unschuldig fühlte. Das hat meinen Gerechtigkeitssinn nachhaltig getrübt.

Diese Erfahrungen führten dazu, dass ich mir später ernsthafte Gedanken über die Wahrheit machte. Die Wahrheit beruht doch letztlich nur auf meinen Aussagen; und auf der Bereitschaft meines Gegenübers, diese für wahr zu halten. Als ich erkannte, dass meine Aussagen selbst die Wahrheit verfälschen können, verstand ich: Wahrheit ist manipulierbar. Und: Menschen sind manipulierbar. Auch Richter, Staatsanwälte, Politiker, Lehrer, Geistliche: Sie alle sitzen täglich Irrtümern, Verdrängungen, bewussten Manipulationen oder falschen Aussagen auf. Das Ergebnis sind krasse Fehlurteile oder viel zu milde Strafen für Täter.

Unlieb ist mir auch der Typ Mensch, der glaubt, mir streng vertrauliche, angeblich ehrliche Informationen über Dritte mitteilen zu müssen. Ich bilde mir lieber mein eigenes Urteil. Und das so ehrlich wie möglich. Natürlich irre ich mich auch manchmal in meiner Einschätzung der Ehrlichkeit anderer. Aber ich kann das zugeben, mich entschuldigen oder Verbindungen kappen, die mir nicht guttun. Auch für mich gilt: Ehrlichkeit ist immer abhängig von der Quelle der Wahrheit. Vielleicht ist die Wahrheit wie ein hochprozentiger Schnaps: In reiner Form brennt sie, macht schwindelig und legt alles offen, was man lieber vergessen würde. Doch in kleinen Dosen kann sie heilsam sein. Wer ständig brutal ehrlich ist, bleibt oft allein an der Bar sitzen.

Wer nie ehrlich ist, wacht irgendwann in einer Gesellschaft auf, die nur noch aus Spiegelbildern besteht. Die Kunst liegt im Mischen: ein Teil Ehrlichkeit, zwei Teile Taktgefühl, eine Prise Humor. Gut schütteln, nicht rühren. So lässt sich das Leben ertragen, ohne dass man dauernd betrunken von der eigenen Wahrheit wird. Ich weiß, dass ich mit meiner Ehrlichkeit nicht immer bequem bin. Aber lieber ein unbequemer Wahrheitsliebhaber als ein beliebter Lügner. Ehrlichkeit kostet Mut, Zeit und manchmal auch Freunde. Deshalb ist sie vielleicht das letzte Luxusgut, das sich nur die leisten können, die nichts mehr zu verlieren haben. Lügen sind billig zu haben; sie kleben wie Sonderangebote an jeder Litfaßsäule. Wahrheit dagegen hat keinen Massenrabatt. Manchmal tut sie weh, manchmal befreit sie – doch immer hat sie ihren Preis. Ich habe beschlossen, ihn zu zahlen. Und wenn mich jemand fragt, ob ich dabei je geschummelt habe, sage ich ehrlich: Nur dann, wenn’s höflicher war.

Und eines Tages, beim Bezahlen im Supermarkt, als ich der Kassiererin versehentlich zu viel Wechselgeld zurückgab, lachte sie und sagte: „So viel Ehrlichkeit erlebt man selten.“ Da grinste ich, sah sie an und flüsterte: „Aber sag mir, was ist Ehrlichkeit?“ Und ich sprach: „Ehrlichkeit ist der Mut, sich selbst beim Denken zuzuhören. Sie braucht keine Bühne und keine Zeugen. Nur Stille und Konsequenz. Viele verwechseln sie mit Schonungslosigkeit, doch wahre Ehrlichkeit ist nie eine Waffe. Sie ist ein Spiegel, der nicht beschönigt, aber auch nicht verurteilt. Manchmal schneidet sie tiefer als jede Lüge, doch nur, weil sie heilt. Wer ehrlich ist, verliert Freunde. Und findet sich selbst. Darum fürchte nicht, aufrichtig zu sein. Denn wer gelernt hat, ehrlich zu bleiben, wenn’s unbequem wird, hat nicht nur Charakter – er hat Frieden.“

Aus dem Gibran-Zyklus von Mike Schwarz © 2025  

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Von den Emotionen

>Wenn der andere Mensch über dich lacht, kannst du ihn bedauern; aber wenn du über ihn lachst, solltest du dir niemals vergeben. Wenn dich der andere Mensch kränkt, magst du das Unrecht vergessen; aber wenn du ihn kränkst, wirst du dich immer erinnern. In Wirklichkeit ist der andere Mensch dein empfindlichstes Selbst in einem anderen Körper. Khalil Gibran<


Eine Emotion >v. lat.: ex = heraus + motio = Bewegung, Erregung< ist ein psycho-physiologischer Prozess, der durch die kognitive Bewertung eines Objekts ausgelöst wird und mit physiologischen Veränderungen, spezifischen Kognitionen, subjektivem Gefühlserleben und einer Veränderung der Verhaltensbereitschaft einhergeht. Emotionen treten beim Menschen und bei höheren Tieren auf. >Quelle: www.wikipedia.de<


Nene? Wie kann man ein so schlichtes Wort wie Emotion nur derart kompliziert verpacken? Ich versuche, mich diesem Thema einmal auf meine Weise zu nähern: verständlicher, menschlicher, fühlbarer. Gefühle. Das sind die farbigen Wellen unserer inneren See. Das subjektive Erleben einer Emotion, manchmal sanft wie ein Sommerwind, manchmal tosend wie ein Gewitter über dem Meer. Neurologisch messbar sind sie längst: als elektrische Funken oder chemische Tänze im Gehirn. Doch was hilft uns das Wissen über die Drähte, wenn der Strom der Empfindung durch unsere Seele rauscht? Gefühle sind keine Definitionen. Sie sind das Flimmern unseres Daseins. Mir würden spontan über fünfzig verschiedene Arten des Fühlens einfallen, doch erspare ich uns die Aufzählung. Schließlich geht es hier nicht um Gefühle, sondern um ihre mächtigeren Geschwister: die Emotionen. Vielleicht sind Emotionen ja nichts anderes als Reflexe auf unsere Gefühle und das Echo unserer inneren Landschaft?

Wie der eine oder die andere Leserin vielleicht weiß, trägt meine Homepage den Namen emotion-cgn.de. Schon dieser Name war Programm: Auf fast jeder Seite pulsierte meine jeweilige Stimmung, spiegelten sich meine Regungen. Manchmal roh, manchmal poetisch, immer echt. Meine Emotionen sind wie Sternschnuppen: kurzlebig, aber leuchtstark. Meine Stimmungen hingegen ziehen wie Jahreszeiten durchs Gemüt. Jeder Mensch, nicht aber jedes Tier, ist fähig, Emotionen zu zeigen, und noch weniger, sie in Worte zu verwandeln. Zum Glück bin ich mir meiner bewusst: meiner Emotionen, meiner Gefühle, meiner Stimmungen. Sie alle begleiten mich Tag für Tag, in wechselnder Intensität. Mal raunen sie nur leise, mal schreien sie mich an. Emotionen sind ein Kaleidoskop. Wer kennt nicht die Farben von Ekel, Mitleid, Trauer, Freude, Zorn, Angst, Ärger, Verachtung, Überraschung oder Scham? Oder die Zwischentöne: Neid, Stolz, Verliebtsein, Unglücklichsein, Enttäuschung?


Kinder fühlen, bevor sie verstehen. Sie lachen mit dem ganzen Körper und weinen mit derselben Hingabe. Ihre Emotionen kennen keine Etikette, keine gesellschaftliche Zensur. Sie sind pur, roh, unmittelbar. Ein Kind lacht, wenn es glücklich ist, und schreit, wenn es verletzt ist. Ohne Rücksicht auf Umgebung, Uhrzeit oder Publikum. Und genau in dieser Unmittelbarkeit liegt seine Wahrhaftigkeit. Jugendliche dagegen lernen, ihre Gefühle zu verstecken, weil sie glauben, Stärke bedeute Kontrolle. Sie beginnen zu filtern, was gezeigt werden darf und was nicht. Der Stolz übertönt die Angst, Coolness ersetzt Zärtlichkeit. Dabei brennt in ihnen das ganze Feuer des Lebens. Sie haben nur noch nicht gelernt, dass man sich daran wärmen kann, statt sich daran zu verbrennen.

Eltern wiederum tragen die Emotionen ihrer Kinder wie ein unsichtbares Echo in sich. Sie freuen sich doppelt, wenn ihr Kind lacht, und leiden doppelt, wenn es weint. Ihre Liebe schwankt zwischen Fürsorge und Furcht, zwischen Loslassen und Festhalten. Und doch ist genau das die wahre Kunst des Erwachsenseins: das Herz offen zu lassen, während man gleichzeitig schützt. Und die Großeltern? Sie tragen die stillste Form der Emotion. Ihre Zärtlichkeit hat nichts mehr mit Pflicht zu tun, sondern mit Erfahrung. Sie wissen, dass kein Lächeln ewig hält, und lächeln trotzdem. Sie weinen leise, weil sie wissen, dass Tränen nichts zerstören, sondern reinigen. Vielleicht sind sie die letzten, die noch wissen, dass Gefühle kein Zeichen von Schwäche sind – sondern von Leben.

Dass ich überhaupt fähig bin, Emotionen zu empfinden, zu zeigen und auszudrücken, verdanke ich wohl meiner mir unbekannten Mutter. Sie hat mir diese Fähigkeit mitgegeben, noch bevor ich atmen konnte. Mein biologischer Vater: von ihm weiß ich so gut wie nichts. Doch ich bin sicher: hätte er gekonnt, er hätte geliebt. Es war nicht die Lieblosigkeit meiner Eltern, die mich prägte, es war die Engstirnigkeit des spießigen Provinzvolkes von Monschau und Simmerath, wo meine Wurzeln in moralinsaurer Erde steckten. Gerade als Mann empfinde ich es nicht als Schwäche, sondern als Stärke, meine Emotionen zuzulassen. Ich spüre sie, wenn ich Menschen begegne, die mich faszinieren. Oder anwidern, ohne dass ich sagen könnte, warum.

Auch Orte tragen sie in sich: Landschaften, Städte, Bücher, Musik. Sie alle berühren in mir Saiten, die ich selbst nicht stimmen kann. Selbst über das Internet spüre ich manchmal Emotionen: ein Lächeln, ein Wort, ein Gedanke von jemandem, den ich nie gesehen habe. Und doch: Es trifft. Vielleicht sind es genau diese Emotionen, die mich schreiben lassen. Nicht ich bin der Autor meiner Zeilen, meine Seele ist es. Sie diktiert, was das Herz schon längst weiß. Emotionen bewerten, deuten, erhellen. Sie sind die Flamme, die mich über den Tellerrand schauen lässt. Manchmal sind sie Last, manchmal Geschenk. Sie wachsen, verwehen, explodieren. Und so oft ich sie auch zu bändigen versuche – sie bleiben frei. Und ich? Ich schreibe, um ihnen Form zu geben.

Emotionale Intelligenz bedeutet, das Wissen zu verfeinern, zu tunen, wie ich gerne sage, um das Gegenüber wirklich zu erreichen. Sie verlangt keine akademischen Titel, nur eines: echtes Interesse. Wenn ich dazu noch fähig bin, selbstbewusst aufzutreten, mich zu motivieren, soziale Kompetenz zu zeigen, mich selbst zu steuern und die Befindlichkeiten anderer zu erkennen. Dann besitze ich einen hohen EQ. Doch wie oft sehe ich, dass sich Menschen miteinander unterhalten, ohne dass einer von beiden merkt, dass es sich um nichts weiter als gepflegtes Blabla handelt? Kommunikation ohne Seele, ohne Worte und ohne Wärme. Wer macht sich heute noch Gedanken über das, was er sagt? Und wo bleibt die Emotion, wenn wir floskelhaft fragen: „Na, wie geht’s?“ Ohne Interesse, ohne Gefühl, ohne Zeit? Diese Redewendung ist kein Zeichen von Nähe, sondern eine Beleidigung, in Watte verpackt. Denn sie übersieht die emotionale Ebene des anderen. Warum also fragen wir sie überhaupt? Solche Floskeln sind der Tod jeder echten Empfindung.

Und eines Abends, als ein Sommerwind die Gardine leicht bewegte und die Welt für einen Moment stillstand, fragte mich jemand mit einem Lächeln, das nach Erinnerung roch: „Erzähl mir etwas über die Emotionen.“ Und ich flüsterte leise zu ihm: „Emotionen sind die Sprache der Seele, bevor sie gelernt hat zu sprechen. Sie sind Wellen, manche sanft, manche wild, und doch alle Teil desselben Meeres. Viele fürchten ihre Tiefe und bleiben lieber am Ufer stehen. Doch wer nie taucht, wird nie wissen, wie klar das Wasser wirklich ist. Freude und Schmerz sind keine Gegner, sondern Zwillinge im selben Herz. Und wer gelernt hat, beide zu lieben, der hat verstanden, was Leben heißt. Darum verberge deine Tränen nicht und fürchte dein Lachen nicht – denn sie sind die Atemzüge deiner Wahrheit.“

Aus dem Gibran-Zyklus von Mike Schwarz © 2025  

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Von den Feiertagen

>Eine vergessene Wirklichkeit mag sterben und in ihrem Testament siebentausend Wirklichkeiten und Fakten hinterlassen, die bei ihrem Begräbnis und dem Bau eines Grabes verwendet werden. Khalil Gibran<


Ein Feiertag oder auch Festtag ist ein aus dem Alltag besonders herausgehobener Tag. Alle Kulturen und Nationen feiern in ihrer Zeitstruktur bestimmte Ereignisse von gesellschaftlichem Rang. Während ursprünglich einzelner mit besonderen astronomischen zyklischen Höhepunkten einhergehender Tage begangen wurden >z.B. Sonnen- oder Mondfeste), etablierte das Judentum mit dem Sabbatgebot die Siebentagewoche mit dem Sabbat, an dem die Arbeit ruhte, als wichtigstem Feiertag. Katholischer und evangelischer Wochenfeiertag ist der Sonntag, der Freitag wird im Islam gefeiert. Entgegen landläufiger Meinung haben die Deutschen nicht die meisten Feiertage. Ursprünglich ließen sich Feiertage nach politischer bzw. religiöser Relevanz nicht trennen >Quelle: www.wikipedia.de<.


Meine Meinung zum Thema Feiertage wird vielen Lesern nicht sonderlich gefallen. Was mich allerding noch nicht einmal peripher interessiert. Feiertage sind für mich wie schwul sein: einfach was für den Arsch! Und wenn es nach mir ginge, würde ich Feiertage ganz abschaffen. Sollte nicht jeder Tag in unserem Leben ein Feiertag sein? Frei von religiöser oder politischer Bedeutung? Einmal ganz realistisch betrachtet, ist ein Feiertag, zumindest für meine atheistische Wenigkeit, nichts anderes als ein ganz stinknormaler Datumswechsel. Was wird um diese Feiertage nicht alles für ein un- und blödsinniges Geschiss gemacht? Und was steckt wirklich dahinter? Kommerz! Nichts anderes als ein Marketingmärchen für all jene, die glauben, Liebe ließe sich im Dreierpack kaufen. Der erste Tag eines neuen Jahres nennt sich zu Recht Neujahr. Logisch. Und wozu dient er? Damit der bundesdeutsche Michel seinen Rausch vom letzten Tag des Jahres auspennen kann. Demzufolge könnten nicht rechtschaffene Alkoholiker auch jeden Tag Neujahr feiern.

Am 6. Januar haben wir dann schon mal gleich den nächsten Feiertag: die Heiligen Drei Könige. OK, der wird zumindest in der Regel nicht mit Alkohol in Verbindung gebracht. Es sei denn, wir schenken den lieben Kleinen bei ihren an den Haustüren zelebrierten Gesangskatastrophen ein paar mit Weinbrand präparierte Pralinen. Wer auch immer die Heiligen Drei Könige gewesen sein mögen; ich kann mich kaum erinnern, dass Könige nichts Besseres zu tun hatten, als einem Stern hinterherzulaufen. Und woher wussten sie überhaupt davon, wo es doch noch gar kein Fernsehen gab? Warum das, überwiegend zum Glück in Bayern, gefeiert wird, entzieht sich gänzlich meinem Vorstellungsvermögen. Paradox ist, dass niemand von den an diesem Tag bettelnden Kindern deren Nachnamen kennt und jedes Jahr darauf reinfällt, dass es sich gar nicht um drei Könige handelte, sondern laut Überlieferung um drei Weise.

Nach der 40-tägigen Fastenzeit stehen weitere Feiertage bevor: Karfreitag und Ostermontag. Obwohl es sehr zweifelhaft ist, feiern Christen weltweit die Auferstehung Jesu von Nazareth. Komisch nur: Niemand feiert, wenn ich morgens aufstehe. Im Vorfeld haben wir uns alle auf den Frühling eingestellt und unsere Häuser mit Unmengen an Osterdekorationen versehen. Sonderbar ist auch, dass das Christentum anlässlich dieses großen Kirchentages erneut heidnische Bräuche übernehmen musste. Außerdem kann ich nicht nachvollziehen, was Eier, Osterhasen, Osterwitze und 200 Kilometer Autobahnstau mit der Auferstehung Jesu Christi zu tun haben könnten. Immerhin freut sich der Einzelhandel über diesen zusätzlichen Umsatzbringer.

Die Volkswirtschaft verliert durch dieses religiöse Szenario jedoch wieder zwei kostbare Arbeitstage, die sinnvoller zur Steigerung des Bruttosozialprodukts hätten investiert werden können. Warum ist bisher noch keine Bundesregierung auf die Idee gekommen, diesen immensen wirtschaftlichen Schaden beim Vatikan einzuklagen? Sagen wir mal: rückwirkend für die letzten zehn Jahre? Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass Jesus für seine Auferstehung ganze drei Tage brauchte. Übrigens: Das teuerste Osterei der Welt, ein mit Diamanten besetztes Schmuckstück von Carl Fabergé, wurde für rund sieben Millionen Euro verkauft. Leider bin ich nicht der Besitzer, sodass ich an Ostern nicht auf die Osterinseln flüchten kann.

50 Tage nach Ostern, aber nur zehn Tage nach Christi Himmelfahrt, stehen die nächsten christlichen Feiertage an: Pfingsten! Ich bin da ja kein Experte, aber ich habe mal gehört, dass das Wort Pfingsten vom griechischen Wort Pentekoste abstammen soll. Das heißt soviel wie fünfzigster Tag. Aber ursprünglich kommt es aus dem jüdischen Wochenfest Schawuot. Unsere Kirchenfürsten damals brauchten wahrscheinlich noch eine theologische Erklärung für den Heiligen Geist und die Dreifaltigkeit, auch wenn die Erklärung nicht logisch war. Wie dem auch sei, Pfingsten soll erst im Jahr 130 n. Chr. als christliches Fest erwähnt worden sein, also knapp 100 Jahre nach dem Tod von Jesus von Nazareth. Es war also genug Zeit da, um die damaligen Ereignisse zu verfälschen. Zumal ja nur wenige Menschen des Schreibens mächtig waren.

Wenn ich meinem Autorenkollegen aus dem Alten Testament, Lukas, Glauben schenken soll, dann soll Jesus am jüdischen Erntedankfest mit einem gewaltigen Brausen, einem Tornado ähnlich, und von megagigantischen Feuerzungen begleitet, noch mal auf die Erde gekommen sein. Die Feuerzungen haben sich dann auf die Apostel verteilt. Ein Wunder, dass sie dabei nicht pulverisiert wurden! Und obwohl sie alle aus unterschiedlichen Ländern kamen, konnten sie sich auf einmal auf wundersame Weise in vielen Sprachen unterhalten? Was er vergessen hatte, war die Botschaft, dass nach seinem Tod die römisch-katholische Kirche ins Leben gerufen werden musste. Nene? Als ob er dafür zu Lebzeiten nicht genug Zeit gehabt hätte! Er hatte ja auch vergessen, aus seiner irdischen Mission Kapital zu schlagen. Und da wir noch heute keine gemeinsame Weltsprache haben, scheint mir diese Mission auch voll in die Hose gegangen zu sein. Ich schlage vor, wir schmeißen die Pfingsttage einfach in den Müll, genau wie die anderen christlichen Feiertage, die ich bisher beschrieben habe.

Nun aber wieder zurück zu der erwähnten Vorweihnachtszeit. Die beginnt jedoch im Einzelhandel eigentlich schon im August, aber das macht ja nichts. Neben dem 1. bis 4. Advent fallen in diese Zeit noch die Feiertage der Hl. Barbara und des Hl. Sankt Nikolaus. Großzügig, wie die römisch-katholische Kirche gegenüber ihren Millionen von Gläubigen nun mal ist, schenkt sie uns Ungläubigen gleich drei Zwangsfeiertage. Auch hier hätte es meiner Meinung nach auch ein Feiertag getan, da wir ja auch nur an einem Tag unseren Geburtstag feiern. Warum sich die Tattergreise im Vatikan allerdings ausgerechnet die heidnische Wintersonnenwende als Feiertag für die Geburt von Jesus von Nazareth aussuchten, obwohl dieser im März geboren wurde, muss ich ja nicht nachvollziehen, oder? Da zahlreiche Sänger, Schauspieler, Filmemacher, Wohlfahrtsorganisationen und Firmen rund um das Thema Weihnachten bereits genügend Kommerz betreiben, muss ich mir diesen Stress nicht mehr antun.

Tatsächlich empfinde ich Weihnachten als die asozialste Zeit des Jahres. Schon im Vorfeld wird gestritten, wer denn nun das Scheidungskind über die Feiertage bekommt. Oder es wird darüber gestritten, ob die Eltern oder Großeltern besucht werden oder nicht. Streit gibt es auch um das Geld, das ausgegeben werden soll. Und was ist mit den Millionen von Singles und älteren Menschen, für die es keine Angebote zu den Weihnachtsfeiertagen gibt? Oder für Nichtchristen und Arbeitslose? Oder für Arme und Obdachlose? Mir tun auch die Verkäuferinnen und Verkäufer leid, die in den Wochen vor dem Fest unter permanentem Stress stehen, nur weil der Einzelhandel meint, den gesamten Jahresumsatz in vier Wochen erzielen zu müssen. Ich kann gut nachvollziehen, dass dieser Personenkreis keine Lust mehr hat, Weihnachten zu feiern. Warum verteilen wir unsere Geschenke nicht einfach über das ganze Jahr?

Denken wir nur einmal an die hunderttausendfach enttäuschten, traurigen Blicke der Kinder, die entweder nicht das geschenkt bekommen, was sie sich gewünscht haben, oder die gar keine Geschenke erhalten. Was bleibt vom Fest der Liebe, wenn Eltern Kredite aufnehmen, um ihren Kindern einen Luxus-PC unter den Plastikbaum zu stellen? Oder an das arme Tier, das auf dem Gabentisch landet, um dann später in der freien Wildbahn entsorgt zu werden? Und denken wir an den Alkoholkonsum und die Folgen der jährlich praktizierten weihnachtlichen Fressorgien! Den Kindern wird auch gar nicht mehr beigebracht, geschweige denn vorgelebt, was der ursprüngliche Sinn von Weihnachten ist. Für viele Kinder ist Christus X-Man, und für viele Erwachsene ist Weihnachten eine große Tauschbörse. Oder nach Weihnachten eine große Umtauschbörse. Und während in den Wohnzimmern die Lichterketten flackern und die Geschenkeberge anwachsen, sitzen anderswo Familien in kalten Wohnungen, weil die Gasrechnung wichtiger war als das Lametta.

Wenn die letzten Keksdosen geleert, die letzten Reste vom Gänsebraten in der Mikrowelle aufgewärmt und die letzten Rechnungen bezahlt sind, beginnt das große Finale des Jahres: Silvester. Ein Abend, an dem Millionen Menschen gleichzeitig so tun, als ließe sich die Zeit anhalten, oder wenigstens durch ein Feuerwerk neu starten. Dabei hat der Jahreswechsel eigentlich nichts Christliches, nichts Heiliges: er ist ein Relikt aus der römischen Antike, ein Tribut an Janus, den zweigesichtigen Gott der Tore und Übergänge. Der blickte mit einem Auge in die Vergangenheit und mit dem anderen in die Zukunft. Ein ziemlich weiser Ansatz, wenn man bedenkt, dass wir meist beides gleichzeitig verdrängen wollen: das, was war, und das, was kommt. Später übernahm die Kirche den Brauch, segnete ihn, taufte ihn um, und machte daraus ein moralisch vertretbares Ritual. Der heilige Silvester, Papst des vierten Jahrhunderts, starb am 31. Dezember, und sein Name wurde kurzerhand zum Synonym für das Jahresende.

Und wieder trete ich am Ende dieses Kapitels ein in den Geist meines Inspirators, Khalil Gibran: Und ich sprach: „Sprich zu uns vom Jahresende.“ Und er antwortete: „Das Jahr ist nur eine Schale, in die du deine Tage legst. Du füllst sie mit Lärm oder mit Stille, mit Feuerwerk oder mit Frieden. Doch am Ende bleibt nicht das, was du hineingetan hast, sondern das, was du daraus gelernt hast. Glaube nicht, dass das Neue Jahr dich erneuert – du bist es, der sich wandeln muss. Denn wer die Vergangenheit nicht segnet, wird sie immer wieder erleben. Und wer den kommenden Tag fürchtet, hat den gegenwärtigen nie verstanden. Zünde dein Feuer nicht im Himmel, sondern in deinem Herzen. Dort leuchtet es länger, dort wärmt es mehr, dort wohnt der Anfang inmitten des Endes.“

Aus dem Gibran-Zyklus von Mike Schwarz © 2025  

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Von der Freiheit

>Wir sind alle Gefangene, aber einige von uns leben in Zellen mit Fenstern und einige in Zellen ohne Fenster.< Khalil Gibran


Im Altertum und im Mittelalter waren große Teile der Bevölkerung als Sklaven oder Leibeigene Eigentum der herrschenden Oberschicht. Damals bedeutete Freiheit die Unabhängigkeit von einem Herrn. Wenn ein leibeigener Bauer ein Jahr in einer mittelalterlichen Stadt gelebt hatte, war er frei. Mit der Industrialisierung wurde die Anzahl der freien Fabrikarbeiter und des Bürgertums immer größer, bis in der bürgerlichen Revolution die Unfreiheit des Feudalismus beseitigt wurde. Seit dieser Zeit entwickelte sich der Begriff der Freiheit von der Abwesenheit von Sklaverei zum heutigen Begriff der Handlungsfreiheit. >Quelle: www.wikipedia.de<


Bei Gibrans Satz „Wir sind alle Gefangene …“ schießt mir sofort durch den Kopf: Hallo? Falsche Baustelle? Sind wir nicht immer noch Eigentum einer herrschenden Oberschicht? Nur besser verpackt? Früher nannte man’s Leibeigenschaft, heute heißt es Steuerpflicht. Die neuen Sklaven heißen Rentner, Hartz-IV-Opfer oder Sozialhilfeempfänger. Und die Oberschicht? Nennt sich Staat, Vorstand oder Aufsichtsrat. Die einen kassieren, die anderen parieren. Hat sich also seit dem Mittelalter wirklich so viel verändert? Wie frei ist unsere Handlungsfreiheit überhaupt? Und noch besser: Wie viel Freiheit verträgt der Mensch? Vielleicht will er gar keine. Vielleicht braucht er Grenzen, weil grenzenlos zu unbequem ist.

Ich werfe mit diesem Artikel mehr Fragen auf, als ich Antworten habe. Einfach, weil Freiheit kein Begriff, sondern ein Trugbild ist. Ein schöner Gedanke, der beim ersten Kontakt mit der Realität zu Staub zerfällt. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, das Schlachtruf-Trio der Französischen Revolution. Begann mit dem Sturm auf die Bastille, endete mit Napoleon, dem Mann mit Hut und Größenproblem. In Wahrheit hätte der Leitspruch lauten müssen: „Freiheit, Gleichheit, Eigentum.“ Denn Eigentum blieb. Alles andere wurde Opfer der Besitzstandswahrung. Seit Menschengedenken regiert Geld die Welt, und wer’s nicht glaubt, kann ja mal versuchen, ohne zu leben. Meine Oma Dine sagte immer: „Das letzte Hemd hat keine Taschen.“ Stimmt. Aber davor hat’s Kreditkartenfächer. Und selbst die Friedhofsordnung duldet keine Freiheit.

Kinder besitzen zu Beginn ihres Lebens die vielleicht reinste Form von Freiheit. Jene, die nicht benannt werden muss. Ein Kleinkind ist frei, weil es noch keine Begriffe kennt, kein Muss und kein Soll. Doch schon im Kindergarten lernen sie: Ordnung, Anpassung, Funktionieren. Ihre Freiheit schrumpft im Takt des Stundenplans. Später werden sie zu Schülern, deren Tage in 45-Minuten-Scheiben zerlegt sind. Wer also redet von Kinderrechten, wenn Kinder vor allem eines verlernen: frei zu denken? Die erste verlorene Freiheit ist immer die kindliche Unschuld. Im Altertum und im Mittelalter war Freiheit ein seltenes Gut. Die meisten Menschen waren Sklaven oder Leibeigene, Eigentum der Herrschenden. Wer damals frei war, war schlicht unabhängig von einem Herrn. Ein Bauernknecht, der es schaffte, ein Jahr lang in einer Stadt zu leben, galt als frei. Welch Fortschritt! Mit der Industrialisierung wurden aus Leibeigenen allmählich eine neue Sorte Sklaven: Fabrikarbeiter. Nur, dass man sie jetzt mit Lohn statt mit Peitsche fütterte.

Und dann die sogenannte Meinungsfreiheit! Solange ich sie nicht öffentlich äußere, ist sie frei. Sobald ich’s tue, ist sie verdächtig. Im Dritten Reich konnte das den Tod bedeuten, heute nur eine Abmahnung, einen Shitstorm oder den Entzug von Leistungen. Wirklich frei ist eine Meinung erst, wenn sie keiner hört. Und wenn’s dir zu bunt wird, gibt’s noch die Informationsfreiheit. Ein Begriff, der öfter missbraucht wird als das WLAN-Passwort in einem Kölner Café. Ich frage mich nur: Wer hat eigentlich Zugriff auf all die Informationen über mich. In Personalausweisen, Akten, Datenbanken? Die Informationsfreiheit gibt es tatsächlich! Nur nicht für den, über den informiert wird. Institutionen wissen mehr über mich, als mir selbst je einfallen würde. Ich nenne das: digitale Leibeigenschaft. Da wird verdreht, was dem Wähler gefällt. Pressefreiheit endet, wo die Chefetage anfängt.

Pressefreiheit? Ein schönes Wort, das sich gut auf Konferenzen anhört und schlecht lebt. Die freie Presse ist so frei, wie sie sich’s leisten kann. Oder wie ihre Anzeigenkunden es dulden. Ohne Wirtschaft kein Wort, ohne Klick keine Wahrheit. Was gestern noch journalistische Haltung hieß, nennt man heute Content-Strategie. Und wer bezahlt, bestimmt den Ton. In den USA gilt das besonders: Da veröffentlicht man, was dem Pentagon gefällt. Der Rest bleibt geheim, oder landet im Ausland, wo ein paar Idealisten mit Fluchtrucksack und VPN versuchen, ihre Freiheit zu retten. Ich denke, wirklich frei ist nur, was der Mensch noch nicht in die Finger bekommen hat. Früher nahmen sich Flüsse die Freiheit, selbst zu entscheiden, wohin sie fließen. Heute zwingt man sie in Betonbetten, damit kein Tropfen zu viel verloren geht. Frei sind vielleicht noch ein paar Wolken. Zumindest so lange, bis der Klimawandel sie vertreibt. Selbst das Meer, einst Inbegriff von Weite, ist längst eine schwimmende Müllhalde. Frei? Nur das Plastik. Es reist weiter, wenn alles andere längst tot ist.

Das Grundgesetz verteilt die Freiheit wie Rationierungsgüter: Jeder darf, was erlaubt ist. Und wehe, du willst mehr. Dann gibt’s Formblatt 47b mit Widerspruchsrecht. In der DDR endete die Freiheit 1989 an einem ungarischen Grenzzaun, im Dritten Reich an einer Rampe in Auschwitz, heute an der Armutsgrenze. In den USA wird sie verteidigt mit Drohnen, in Europa mit Datenschutz, in Deutschland mit einer Funkloch-App. Überall spricht man von Freiheit, doch kaum einer bemerkt, wie unfrei er längst denkt. Das Wort frei stammt übrigens von fri, also Frau. Und wie frei ist die Frau? Sie darf gebären, aber nicht bestimmen. Erziehen, aber nicht entscheiden. Sie schenkt Leben, aber verliert Besitz daran. Und im Vatikan darf sie bis heute nicht einmal Weihrauch schwenken, ohne dass jemand die Männerbibel zückt. Freiheit also? Eher Freispruch unter Auflagen. Vielleicht, so denke ich, liegt die wahre Freiheit gar nicht im Tun, sondern im Erkennen. Im Wissen, dass man unfrei ist. Und trotzdem lacht. Im Mut, sich nicht alles gefallen zu lassen, auch wenn man weiß, dass man’s trotzdem muss. Vielleicht ist Freiheit am Ende nichts anderes als der Moment, in dem du innerlich Nein sagst. Nur niemand hört es.

Ein Ex-Häftling der JVA Ossendorf bat mich: „Sprich zu mir von der Freiheit.“ Und ich beugte mich zu ihm und sprach: „Freiheit ist kein Tor, durch das du schreitest, sondern ein Weg, den du erkennst. Du wirst sie nicht finden, wenn du fliehst, sondern nur, wenn du stehenbleibst. Sie ist nicht die Abwesenheit von Ketten, sondern die Einsicht, dass du sie selbst geschmiedet hast. Glaube nicht, dass Freiheit laut ist – sie flüstert in der Stille deines Herzens. Und wenn du sie endlich hörst, wirst du erkennen: Frei ist nicht, wer tun kann, was er will, sondern wer nicht mehr will, was ihn gefangen hält.“

Aus dem Gibran-Zyklus von Mike Schwarz © 2025  

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Von der Freude

>Eure Freude ist euer unmaskiertes Leid> Khalil Gibran<


Man unterscheidet zwischen körperlichem und psychischem Leiden. Körperliches Leiden = Empfindung von Schmerzen. Psychisches Leiden hat mannigfaltige Ursachen >meistens leidet man, weil man etwas will, was man nicht hat oder weil man etwas hat, was man nicht will<. Leiden erfordert stets a der- oder diejenige, die leidet< und b Quelle: www.wikipedia.de<


Fortsetzung: Danke, Horst. Mich freut es, dir mit ein paar Zeilen, die mich nichts kosteten, eine Freude gemacht haben zu können. Ist es nicht so, dass die Kreditkarte des Lebens zwei Seiten hat? Die Vorderseite der Freude und die Rückseite des Leids? Ich denke, nur wer Leid erfahren hat, ist in der Lage, Freude zu schenken. Wie aber betrachten wir in der Regel die Kreditkarte? Klar: meistens von der Vorderseite! Und so sollten wir auch mit unseren Mitmenschen umgehen. Freude schenken! Aber immer auch das Leid erkennen! Für mich gibt es keine schönere Freude, als dem in die Augen zu schauen, dem ich was schenkte. Und sei es nur mein Lächeln. Falls wir gewünschte Kinder der Mutter Natur sind, kamen wir alle mit Freude auf diese Welt. Auch wenn uns unsere Mütter unter großen Schmerzen gebaren, so freuten sie sich doch über unsere Geburt. Wie groß, oder vielleicht auch nicht, war doch die Freude unserer Eltern, als wir kerngesund das Licht der Welt erblickten.

Im Großen Märchenbuch ist oft von der Freude göttlichen Ursprungs die Rede. Nur die Freude am All-Ohnmächtigen sei die Quelle der Kraft. Blödsinn! Sage ich. Im gleichen Atemzug wird in dem Lügenbuch die Furcht genannt. Lest einfach mal das Alte Testament: Mord und Totschlag, Aufforderung zur Kindstötung, Zorn, der sich über Ungläubige ergießen soll, Aufruf zur Vernichtung von Kultstätten, Feuerregen und Tod, Verherrlichung von Gewalttaten, Landraub, Aufruf zum Genozid und so weiter und so fort. Wo bleibt da die Freude? Man kann sich auch ohne den ganzen Hokuspokus zu seinem eigenen Gott der Freude machen. Auch ohne Religion.

Fast jeder ist in der Lage, den Zustand seelischer Freude durch Ausgeglichenheit, Selbsterkenntnis und eine achtsame Lebensweise herbeizuführen. Wer hält dich davon ab, Mitfreude an der Freude anderer zu empfinden? Gott? Nein! Nur du selbst bist dazu in der Lage. Freude muss nicht mit Vergnügungen in Verbindung stehen, kann es aber. Ich habe fast täglich meine Freude, wenn ich die Blicke von Säuglingen und kleinen Kindern sehe, die ihre Umgebung völlig ignorieren und schweigend oder wild gestikulierend auf Dinge blicken, die ihre kindliche Fantasie anregen.

Nicht zu vergessen ist die Vorfreude. Auch sie hat viele Gesichter. So gibt es beispielsweise Paare, die auf vorehelichen Geschlechtsverkehr verzichten, um die Vorfreude auf die Hochzeitsnacht zu bewahren. Schön blöd. Schließlich kann man auch bei einem One-Night-Stand Vorfreude empfinden. Oder nicht? Als Kinder hatten wir eine wochenlange Vorfreude auf das bevorstehende Weihnachtsfest und die zu erwartenden Geschenke. Als Jugendliche genossen wir die Vorfreude auf den ersten Urlaub ohne die Eltern. Heißt es nicht: „Vorfreude ist die schönste Freude?” Natürlich kann Vorfreude schnell in Enttäuschung umschlagen, wenn ein Ereignis oder das Erwartete nicht unseren Vorstellungen entspricht. Ein Beispiel: Mit großer Vorfreude warten wir zur vereinbarten Uhrzeit auf unser ultimatives Date. Wir warten eine Stunde, wir warten zwei Stunden. Was ist nach dieser Zeit aus unserer Vorfreude geworden?

Eine kleine Katastrophe in drei Akten: Die Vorbereitung: stundenlanges Styling, fünfmal das Hemd gewechselt, eine Duftwolke – und schließlich ein Nervenzusammenbruch. Der Hauptteil: Das Date kommt zu spät, redet von sich in der dritten Person und kaut mit offenem Mund. Das Ende: „War schön, wir schreiben!“ Es folgt Funkstille bis zum Jüngsten Gericht. Später folgen Partnerschaft, Ehe und Scheidung. Und wieder freuen sich die Anwälte. Eine Berufsgruppe mit Zukunft: Scheidungsanwälte! Gegründet auf den Ruinen der Liebe. Sicherlich haben wir uns auf das Erwachsenwerden, den ersten Führerschein, den Start ins Berufsleben, auf Familie, Enkel, Haus und Hund gefreut. Doch wie oft wünschen wir uns mit vierzig, wir wären wieder zwanzig? Aber bitte mit den Erfahrungen von sechzig. Der Lebensabschnittsgefährte hat den Ehepartner längst ersetzt und der Job das Berufsleben.

Natürlich besteht das Leben nicht nur aus Freude. Aber anstatt uns sinnlos zu ärgern, könnten wir die gleiche Zeit nutzen, um uns zu freuen. Eines meiner vielen Lebensmottos lautet: „Ärger macht Ärger nur noch ärger.“ Wahre Freude liegt nicht im Verborgenen. Sie kostet nichts und ist nicht an Reichtum gebunden. Wer das Lachen armer Kinder kennt, weiß, was Lebensfreude bedeutet. Eine besondere Form der Freude ist die Lebensfreude selbst. Das Bewusstsein, zu sein. Als bekennender Atheist weiß ich: Sie begann vor meiner Geburt und endet mit meinem letzten Atemzug. Das wird sicherlich einige erfreuen. Und das wiederum freut mich, denn jede vergossene Träne um mich macht mich nicht wieder lebendig. Nicht materielle Dinge sollten uns Freude bereiten, sondern Friedfertigkeit, Vertrauen in unsere Fähigkeiten und Dankbarkeit dafür, dass wir ein befristetes Geschenk der Natur sind. Wer das Hier und Jetzt bewusst lebt, hat mehr Lebensfreude als jemand, der sich ständig sorgt, ärgert, hasst oder neidet. Warten wir also nicht darauf, dass uns Freude geschenkt wird, sondern verschaffen wir sie uns selbst. Täglich. Unverzinst, aber unbezahlbar.

Eine alte Frau, vom Leben gezeichnet und arm, setzte sich zu mir auf die Parkbank und sagte: „Sprich zu mir von der Freude.“ Und ich lächelte sie an, und meine Worte klangen wie der warme Ton einer hellen Klangwelt. „Freude ist nicht das Lachen deiner Lippen, sondern das Aufatmen deiner Seele, wenn sie für einen Moment vergisst, dass sie sterblich ist. Suche sie nicht in Dingen, sondern in Augenblicken, nicht im Besitz, sondern im Dasein. Denn wer Freude haben will, muss zuerst aufhören, sie zu besitzen.“ Die Frau nickte und sprach: „Dann bin ich reich – denn ich habe nichts, aber mich freut’s.“

Aus dem Gibran-Zyklus von Mike Schwarz © 2025  

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Von der Freundschaft

>Denn in der Freundschaft werden alle Gedanken, Wünsche und Erwartungen ohne Worte geboren und geteilt – und mit einer Freude, die keinen Beifall erheischt. Khalil Gibran<


Eine wissenschaftlich korrekte Erklärung im Sinne einer wiederholbaren Messung der Stärke einer Freundschaft ist schwer möglich. In der Soziologie hat Ferdinand Tönnies Freundschaft als Gemeinschaft des Geistes kategorisiert. Auch gibt es einige wissenschaftliche Untersuchungen zum Verhalten innerhalb einer Freundschaft. So streiten enge Freunde wesentlich mehr als lediglich miteinander bekannte Personen. Der Grund dafür wird von Psychologen und Soziologen darin gesehen, dass sich enge Freunde einander sicher sind und daher nicht übervorsichtig agieren müssen. Außerdem haben sie mehr Kontakt zueinander. Außerdem bedeutet Freundschaft mehr als nur Vertrauen. Natürlich kann mal ein Streit vorkommen, doch ist es empfehlenswert, dass man den Streit nicht über Wochen ausbreitet.  >Quelle: www.wikipedia.de<


Freundschaft! Welch großes Wort für ein so fragiles Gefühl. Sie beginnt oft leise, wächst im Verborgenen und wird doch so leicht überschätzt. Kinder glauben, Freundschaft sei unzerbrechlich. Erwachsene wissen es besser und tun trotzdem so, als wäre sie ewig. Vielleicht, weil wir Menschen das Verbindliche brauchen, um uns selbst zu spüren. Ein Freund ist wie ein Spiegel, der uns zeigt, wer wir sind. Und manchmal, wer wir gerne wären. Doch manchmal zerbricht dieser Spiegel. Nicht, weil er schlecht war, sondern weil das Bild, das er zeigte, zu ehrlich war. Ich habe gelernt, dass Freundschaft nicht immer Wärme bedeutet. Sie kann auch unbequem sein, schmerzhaft, aufrüttelnd. Ein wahrer Freund ist nicht der, der uns recht gibt, sondern der, der bleibt, wenn wir Unrecht haben. Und wer das aushält, verdient es, Freund genannt zu werden.

Man sagt, die ersten Freundschaften prägen ein Leben lang. Ich sage: Sie prägen höchstens die Erinnerung. Und selbst das nur, wenn man sie sich schönlügt. Kinderfreundschaften sind wie Kreidezeichnungen auf Asphalt: bunt, spontan, voller Leben. Und mit dem nächsten Regen verschwunden. Wir schwören uns ewige Treue, tauschen Kaugummis und Geheimnisse, schwören, niemals zu lügen, und vergessen uns dann doch, sobald einer von uns ein neues Fahrrad oder einen Gameboy hat. Und doch, so kurz sie währten, waren sie ehrlich. Da ging es nicht um Status, nicht um Nutzen, sondern schlicht um: mag dich oder mag dich nicht. Das ist mehr Wahrhaftigkeit, als so mancher Erwachsene später aufbringt.

In der Jugend wird das Ganze komplizierter. Da ist Freundschaft plötzlich ein soziales Währungssystem: Wer die cooleren Klamotten trägt, die besseren Geschichten kennt oder den ersten Joint besorgen kann, hat Freunde im Dutzend. Bis der Vorrat an Joints oder Geschichten versiegt. Wir sind loyal, solange wir gemeinsam gegen die Erwachsenenwelt rebellieren können, aber wehe, jemand verliebt sich in dieselbe Person oder bekommt bessere Noten! Dann wird aus Freundschaft Konkurrenz, und der Schulhof zur Frontlinie. Später nennt man das Networking, damals war’s einfach Verrat mit Akne.

Freundschaft ist kein Vertrag, der unterschrieben wird. Sie ist kein Ehrenwort, das man abheftet wie eine Quittung. Sie ist Bewegung. Eine Welle. Sie kommt und geht, sanft, zerstörerisch, ehrlich. Ich habe gelernt: Freundschaft hat nichts mit Nähe zu tun, sondern mit Wahrhaftigkeit. Ein Mensch kann tausend Kilometer entfernt sein und mir doch näher als der Nachbar gegenüber, der mir durchs Fenster zunickt, wenn er sein Bier austrinkt. Freundschaft ist, wenn jemand nicht fragt, warum du schweigst, sondern sich neben dich setzt und mit dir schweigt. Sie ist die Kunst, das Unausgesprochene zu verstehen, das Unperfekte auszuhalten, und im Chaos der Jahre den Faden nicht zu verlieren. Und sie verlangt Mut, den Mut, ehrlich zu bleiben, auch wenn Ehrlichkeit weh tut. Ich hatte Freunde, mit denen ich viel gelacht habe. Und solche, die beim ersten Gewitter abtauchten, als ich sie brauchte. Manche gingen leise. Andere knallend wie ein Silvesterböller. Und doch – ich danke jedem Einzelnen. Denn jeder hat mir gezeigt, wer ich bin. Und wer ich besser nicht sein sollte.

Wie aber, um alles in der Welt, gewinnt man Freunde? Der erste Schritt: kommunikativ sein. Dazu muss der potenzielle Freund oder die Freundin erst existieren und in unser bewusstes oder unbewusstes Beuteraster passen. Meine fünf sich aus einer Begehrlichkeit, Freundschaft oder Geilheit entwickelnden Langzeit-Beziehungen waren das. Dachte ich! Meine jetzige Beziehung passt nicht in dieses Raster, und wurde mir doch mit der Zeit zum Freund. Freundschaft ist nichts Gegebenes – sie wächst durch Vertrauen. Ich denke, der Begriff Freundschaft wird in Kulturen unterschiedlich ausgelegt. Als Deutscher habe ich sicher eine andere Haltung dazu als der türkische Kioskbesitzer, der mich nach der zweiten Schachtel Zigaretten bereits „mein Freund“ nennt. Eine nette Geste, aber noch keine Freundschaft. Der Nordamerikaner nennt schon gute Bekannte Freunde. Ich brauche tiefere, gewachsene Verbindungen; über Gespräche, Telefonate, Briefe. Doch es gibt auch Freunde der Zeit, Menschen, denen ich nie begegnet bin und trotzdem so etwas wie Seelenverwandtschaft spüre.

Ich habe gelernt, loszulassen. Auch von Menschen, die mir nicht guttaten. Und siehe da: nach Schlechtem wuchs Besseres nach. Meine Erinnerungen an gute Freunde verschönern mein Leben, aber erst das Vergessen mancher desolater Zeitgenossen macht es erträglich. Ich habe aufgehört zu zählen. Nicht aus Desinteresse, sondern aus Demut. Die wahren bleiben unsichtbar, aber spürbar wie der vertraute Geruch alter Kleidung. Und wenn ich heute sage: Ich habe viele Bekannte, aber wenige Freunde, dann klingt das nicht traurig. Es klingt nach Leben. Nach Köln. Nach mir.

Ein paar junge Leute, beseelt von der Wonne in frühlingshafter Natur, sprachen mich an: „Sprich zu uns von der Freundschaft.“ Und ich erzählte: „Freundschaft ist kein Bund, der dich fesselt, sondern eine Brücke, die du jeden Tag neu betrittst. Sie trägt dich, wenn du sie mit Wahrheit betrittst, und sie bricht, wenn du sie mit Lüge belastest. Freundschaft ist kein Besitz, sie ist ein Geschenk, das man nur im Moment auspacken kann. Bewahre sie nicht in Schubladen, sondern im Herzen. Und wenn du zweifelst, ob ein Mensch dein Freund ist – dann höre auf dein Lachen, nicht auf deine Angst. Denn dort, wo dein Lachen ehrlich ist, wohnt der Freund.“

— Aus dem Gibran-Zyklus von Mike Schwarz © 2025 —

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Von der Gewalt

>Und wie steht es mit dem, der zu früh zum Hochzeitsmahl kommt und dann übersättigt und müde weggeht und behauptet, alle Feste seien Vergewaltigungen und alle Festteilnehmer Gesetzesbrecher. Khalil Gibran<


Gewalt (eine Bildung des althochdeutschen Verbes walten, bzw. waltan – stark sein, beherrschen) bezeichnet von seiner etymologischen Wurzel her das ‚Verfügen können über innerweltliches Sein‘. Der Begriff hebt ursprünglich also rein auf das Vermögen zur Durchführung einer Handlung ab und beinhaltet kein Urteil über deren Rechtmäßigkeit. Im heutigen Sprachgebrauch wird „Gewalt“ dagegen stark wertend verwendet. Eine allgemein akzeptierte Definition des Begriffs gibt es nicht, da seine Verwendung in Abhängigkeit von dem spezifischen Erkenntnissinteresse stark variiert. Dieses Fehlen einer belastbaren Definition verursacht insbesondere Probleme bei der statistischen Erfassung von Gewaltdelikten. Assoziierte Termini sind heute vor allem Aggression, Machtmissbrauch, Körperkraft oder Zwang. Gewalt ist in diesem Sinne definiert als Einwirkung auf einen anderen, der dadurch geschädigt wird. Als Gewaltformen werden psychische oder physische, personale oder strukturelle, statische oder dynamische sowie direkte oder indirekte unterschieden. Ein enger, auch als „materialistisch“ bezeichneter Gewaltbegriff beschränkt sich auf die zielgerichtete, direkte physische Schädigung einer Person, der weiter gefasste Gewaltbegriff bezeichnet zusätzlich die psychische bzw. verbale Gewalt, teilweise auch den Vandalismus und in seinem weitesten Sinn die „strukturelle Gewalt“. Wesentliche Anwendung findet der Begriff „Gewalt“ in der Staatsphilosophie, der Soziologie und der Rechtstheorie. >Quelle: www.wikipedia.de<


Gewalt – allein das Wort klingt schon nach Schlag in der Magengrube, nach Faust auf Tischplatte, nach dumpfem Echo im Treppenhaus der Menschheit. Der Wikipedia-Absatz erklärt brav, was Gewalt ist: eine Bildung des althochdeutschen walten, also stark sein, beherrschen. Wie harmlos das klingt, fast zärtlich. Doch sobald der Mensch ins Spiel kommt, wird aus walten das, was wir heute mit blauen Flecken, gebrochenen Herzen und zerstörtem Vertrauen bezahlen. Schon der Versuch, den Begriff zu definieren, ist gewaltig. Und weil der Text mich gewaltig zum Denken zwingt, fange ich gleich an, mich, im wahrsten Sinne des Wortes, gewaltsam zu äußern. Ich mag keine Form der Gewalt. Punkt. Nicht die körperliche, nicht die psychische, und schon gar nicht die staatlich verordnete. Schon klar: Die sogenannte Staatsgewalt sorgt dafür, dass die Räder halbwegs rund laufen. Aber wenn sie mir über mein Sozialamt vorschreibt, wann und wovon ich leben darf, dann ist das für mich keine Fürsorge, sondern Zwangsverwaltung meiner Existenz. Gewalt in Aktenform, mit Stempel und Dienstsiegel.

An Gewaltformen mangelt es uns nicht. Wir Menschen sind auch auf diesem Gebiet erstaunlich kreativ. Fast könnte man glauben, Gewalt sei unsere heimliche Lieblingsdisziplin. Es gibt sie in psychischer, physischer, direkter, indirekter, statischer, dynamischer, personaler und struktureller Ausführung. Und das sind nur die Hauptgruppen. Jeder Tag in diesem Land liefert neues Material für Lexika und Polizeistatistiken, die ohnehin nie hinterherkommen. Gewalt ist wie Schimmel: sie breitet sich aus, selbst dort, wo man frisch gestrichen hat. Für mich beginnt sie da, wo ein Mensch einem anderen etwas antut, das dessen Würde verletzt. Manchmal genügt ein Satz, ein Blick, ein Abwinken. Verbale Gewalt kann man noch wegatmen; körperliche Gewalt jedoch? Nein! Die lehne ich heute konsequent ab, auch wenn ich mich früher mitunter wehren musste. „Hunde, die bellen, beißen nicht“, pflegte meine Oma Dine zu sagen, und recht hatte sie. Ignoranz ist oft der beste Selbstschutz. Doch wehe, wenn aus Worten Taten werden, wenn Beleidigung in Blut übergeht. Dann hilft kein Sprichwort mehr, sondern nur noch Polizei und Pflaster.

Und wenn man dann, wie ich, den Mut hat, authentisch zu bleiben, kriegt man prompt sein virtuelles Hausverbot oder landet auf der Blockliste. Gewalt ohne Blut, aber mit nachhaltiger Wirkung auf das Nervenkostüm. Und dann, fast schon grotesk: die Handy-Gewalt. Nicht körperlich, aber akustisch. Die Attacke auf die Trommelfelle durch frühpubertäre Lautsprecherträger in der KVB, begleitet von Knatsch-Kaugummi und Kanakenbeats im Dolby-Surround-Format. Setze ich mich zur Wehr, droht mir das nächste Level der Eskalation: von der Beleidigung bis zur Faust. Und der Gesetzgeber? Schweigt und nickt, während er mir das Rauchen im Café verbietet, aber keine Kopfhörerpflicht für Mobilterror erlässt. Da stimmt doch was nicht. Gewalt. Sie beginnt im Kinderzimmer, auf dem Schulhof, in Chatgruppen. Kinder, die zu Tätern werden, weil niemand ihnen Grenzen zeigt. Jugendliche, die Mitschüler quälen, Lehrer demütigen, sich in Gruppen gegenseitig hochschaukeln, bis einer blutet oder bricht. Die erste Ohrfeige ist selten die letzte, und der Satz „Das ist doch nur Spaß“ das perfideste Alibi. Es ist die Gewalt der Schwäche, der fehlenden Zuwendung, der unterlassenen Liebe. Und sie wächst heran zu einer Gesellschaft, die Härte mit Stärke verwechselt.

Sie findet in Klassenzimmern statt, in Jugendheimen, auf Schulhöfen. Nicht immer sichtbar, oft subtil: Hänseln, Ausgrenzen, Mobbing. Kinder, die ihre Mitschüler psychisch zermürben, weil sie zu Hause gelernt haben, dass Macht nur zählt, wenn einer verliert. Jugendliche, die andere filmen, statt zu helfen, wenn einer am Boden liegt. Gewalt hat heute WLAN. Sie trägt Kapuzenpulli, Sneaker und Nickname. Die Opfer? Werden gebrochen oder stumpf. Die Täter? Werden Erwachsene. Und so entsteht die nächste Generation derer, die Gewalt nur als Sprache kennen. Die nichts anderes gelernt haben, als zuzuschlagen. Mit der Faust, mit Worten, mit Schweigen. Und ja, man kann sich fragen, ob all das wirklich unvermeidbar ist. Ich glaube nicht. Aber solange Politiker lieber Empörungsreden halten, Kirchen Beichte statt Verantwortung predigen und Nachbarn weghören, bleibt alles, wie es ist. Deutschland, das Land der Dichter und Denker. Und der Weggucker. Danke!

Doch ich verurteile niemanden, der den Ausstieg wählt. Manchmal ist der Tod einfach ehrlicher als das, was wir Leben nennen. Statistisch gesehen gelingt nur jeder zehnte Suizidversuch. Was die Statistik nicht sagt: neun von zehn wollten gar nicht sterben, sondern nur endlich Ruhe. Frauen versuchen es öfter, Männer schaffen es öfter. Das Leben bleibt auch hier ungerecht verteilt. Im Jahr 2004 beendeten in Deutschland 10 733 Menschen ihr Leben. Drei Viertel davon Männer. Das sind keine Zahlen, das sind Nachbarn, Kollegen, Freunde. Menschen, die wir hätten retten können, wenn wir hingeschaut hätten. Denn der Suizid kündigt sich an, fast immer. Durch Müdigkeit, durch kleine Abschiede, durch Sätze wie „Ich kann nicht mehr.“ Sätze, die wir hören, aber nicht verstehen wollen. Wir müssen endlich lernen, genauer hinzusehen. Suizid beginnt da, wo das Zuhören aufhört. Wer hinsieht, kann verhindern, dass der andere den letzten Schritt geht. Wer hinhört, kann ein Leben retten. Es kostet nichts. Nur Zeit und Mitgefühl.

Ich selbst habe einmal danebengestanden. Robert hieß er. Meine erste schwule Beziehung. An seinem letzten Abend schien alles wie immer: ein Glas, ein Lächeln, ein Satz, den ich heute noch höre: „Ich bin müde.“ Ich verstand ihn nicht. Ich hätte es verhindern wollen. Aber wer will schon Prophet sein, wenn der Tod leise spricht? Robert war klug genug, seinen ersten Versuch zu seinem letzten zu machen. Er hat es geschafft. Ich nicht. Ich lebe weiter. Vielleicht, um davon zu erzählen. Am Ende bleibt die Erkenntnis: Gewalt ist nicht nur das, was man einem anderen antut. Sie ist auch das, was man sich selbst zufügt. Mit jedem verschluckten Gefühl, mit jeder unterdrückten Wut, mit jedem verlorenen Traum. Und vielleicht beginnt der Weg aus der Gewalt dort, wo man sich selbst verzeiht.

Da stand also dieser junge Mann unter einer Straßenlaterne. Er hatte ein Gipsbein und bat mich um Feuer. Und unvermittelt sprach er: „Erzähl mir bitte etwas über die Gewalt.“ Und ich sprach: „Gewalt ist kein Schrei, mein Freund, sondern das Schweigen, das zu lange getragen wurde. Sie wohnt in der Angst und ernährt sich von der Schwäche. Doch enden wird sie nicht durch Stärke, sondern durch Einsicht – wenn einer den Mut hat, sie nicht weiterzugeben.“ Der junge Mann nickte und sagte leise: „Dann ist Gewalt also ein Spiegel.“ Und ich antwortete: „Ja – und wer hineinsieht, erkennt sich selbst.“

— Aus dem Gibran-Zyklus von Mike Schwarz © 2025 —

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Von der Globalisierung

>Bedauernswert ist ein Volk, dessen Bewohner Kleider tragen, die sie nicht selber woben, die ein Brot essen, dessen Getreide sie nicht selber ernteten, und die einen Wein trinken, den sie nicht selber kelterten.“ Khalil Gibran<


Was ist Globalisierung? Was sind die Folgen der Globalisierung? Wie agieren transnationale Konzerne? Kennst du die Weltreise einer Jeans? Definitionen und mehr… >Quelle: www.wikipedia.de<


Normalerweise, in meinem ganz persönlichen Umfeld, lernte ich, mit meinen Ängsten fertig zu werden und behaupte auch da immer noch, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist und dass Angst besiegt werden kann. Doch bei dem Thema Globalisierung befällt mich ein Gefühl, bei dem selbst mein sonst so stabiles Nervengerüst zu zittern beginnt. Ein Gefühl der Machtlosigkeit. Machtlos deshalb, weil wir es bei der Globalisierung mit Mächten zu tun haben, die für uns keinen Körper haben, kein Gesicht, keine erkennbare Handschrift. Und dennoch unsere Leben lenken wie unsichtbare Puppenspieler. Sie sind nicht greifbar, nicht berührbar, und dennoch für die gewaltigste Veränderung der Menschheitsgeschichte verantwortlich.

Auch unsere Urahnen kannten diese Art des Erschreckens. Wenn Blitze über den Himmel zuckten, glaubten sie an Götter, an Geister, an das Zornige, das über sie kam. Um Herr der Angst zu werden, begannen sie, Feuer anzubeten, Bäume, Sonne, Mond, und schufen Götzen, die sie zugleich fürchteten und verehrten. Aus dieser Angstkultur wuchs Religion, als Versuch, das Unbegreifliche zu bändigen. Vielleicht ist Globalisierung heute nichts anderes: ein neuer Götze, eine allmächtige Instanz, unsichtbar, aber anbetungswürdig gemacht durch Börsenkurse, Wachstumstabellen und digitale Versprechen. Was bedeutet eigentlich Globalisierung? Nach meinen Erinnerungen tauchten Begriffe wie global oder Globalisierung erst nach 1990 wirklich auf. Was ich kannte, war der Globus; einmal als Weltkugel, und einmal als Einkaufsmöglichkeit. Später wurde das Wort inflationär benutzt, missbraucht, gefürchtet, aber kaum von jemanden verstanden.

Wo lagen die Fehler? In der Hybris der Gründungsväter der EU vielleicht, die glaubten, man könne Völker wie Legosteine zusammenstecken. Es wurde zusammengeführt, was in der natürlichen Ordnung der Dinge erst hätte zusammenwachsen müssen. Natürlich begrüße ich die Verbindung der Völker! Wer wünscht sich nicht Frieden und Miteinander? Aber Frieden lässt sich nicht per Vertrag erzwingen, und Solidarität nicht durch Subvention erkaufen. Die Folge: Aus idealistischen Projekten wurden bürokratische Monster. EU-Gelder flossen nicht zu den Bedürftigen, sondern zu den Geschickten. Während in Ostdeutschland Kindergärten schließen, entstehen in London Luxuswohnungen, finanziert mit dem Geld jener, die jeden Morgen um ihren Job zittern.

Und trotzdem, ich will es betonen: Ich bin kein Globalisierungsgegner. Ich bin ein Beobachter, einer, der gelernt hat, Yin und Yang zu sehen, Licht und Schatten. Ich weiß, dass jede Entwicklung zwei Seiten hat. Globalisierung bringt Kommunikation, Wissen, Austausch. Aber sie bringt auch Überforderung, Anpassungsdruck, Beschleunigung. Bei einer Umfrage glauben 62 % der Befragten, dass Globalisierung ihr Leben verbessert. Schön für sie! Doch wer fragt die anderen 38 %? Wer hört auf die, die ihre Arbeit verloren haben, ihre Würde, ihr Vertrauen in eine gerechte Weltordnung?

Besonders unsere Kinder und Jugendlichen zahlen den Preis. Sie wachsen auf in einer Welt, in der Likes Liebe ersetzen und Follower Freunde heißen. Eine Welt, in der man sich selbst filtert, bis kein Mensch mehr übrig bleibt. Nur noch ein digital geschöntes Echo. Früher reichte ein Fußballplatz, um Freundschaften zu schließen. Heute reicht ein Wischen nach links, um sie zu beenden. Globalisierung heißt auch: Entwurzelung. Wer überall zu Hause ist, ist oft nirgends mehr daheim. Und doch; wäre es nicht zu einfach, sie nur zu verteufeln, diese Globalisierung, die wir selbst erschaffen haben? Denn sie hat uns auch geöffnet, hat Mauern eingerissen und Brücken gebaut, die wir allein niemals hätten schlagen können. Noch nie in der Geschichte der Menschheit war es so leicht, Wissen zu teilen, Ideen zu verbreiten, Solidarität zu leben. Aus einer kleinen Flamme in einem Land kann binnen Stunden ein weltweites Feuer der Empörung oder des Mitgefühls entstehen.

Kinder, die früher in Armut und Analphabetismus gefangen waren, lernen heute dank digitaler Plattformen lesen, schreiben, träumen. Jugendliche kommunizieren über Kontinente hinweg, tauschen sich aus, entdecken Gemeinsamkeiten. Und manchmal auch Unterschiede, die lehren, statt zu trennen. Die Welt ist ein Klassenzimmer geworden, in dem jeder von jedem lernen kann. Wenn er will. Globalisierung kann verbinden, wenn man sie mit Herz denkt und nicht nur mit dem Taschenrechner. Sie kann die Welt kleiner machen, ohne sie zu verengen. Sie kann helfen, dass wir begreifen, wie sehr alles mit allem verbunden ist: das Kind im Kongo mit dem Smartphone in Köln, der Baum im Amazonas mit dem SUV in Bergheim. Vielleicht liegt der Fehler nicht in der Globalisierung selbst, sondern in dem, was wir aus ihr gemacht haben: ein Werkzeug der Gier statt eine Brücke der Menschlichkeit.

Und so stehen wir da, Anfang des 21. Jahrhunderts, und glauben, alles zu wissen. Und verstehen doch so wenig. Wir reden von Vernetzung, aber verlieren den Kontakt. Wir reden von Fortschritt, aber hinken seelisch hinterher. Wir reden von Menschlichkeit, aber delegieren sie an Algorithmen. Vielleicht, ganz vielleicht, wird eines Tages ein Kind in einem Geschichtsbuch lesen: „Sie nannten es Globalisierung. Und meinten: Entfremdung.“ Und doch, ich glaube weiter. Weil der Mensch lernfähig ist. Weil jedes Ende auch Anfang sein kann. Weil Hoffnung das Einzige ist, was uns noch global verbinden könnte. Globalisierung ist kein Fluch und kein Segen. Sie ist ein Spiegel, in dem sich zeigt, wer wir wirklich sind. Mit all unserer Sehnsucht, unserer Habgier, unserer Angst, zu kurz zu kommen. Wir wollten eine Welt ohne Grenzen, und bekamen eine ohne Halt. Wir wollten alles miteinander teilen, und verlernten dabei, was Teilen eigentlich bedeutet. Und vielleicht, nur vielleicht, erinnert sich jemand an Gibrans Worte: „Bedauernswert ist ein Volk …“

Da stand also eine junge Frau auf dem Platz vor dem Bahnhof. In der einen Hand hielt sie ein Smartphone, in der anderen ein Pappschild, auf dem stand: Ich will nur irgendwo dazugehören.“ Sie sprach mich an und fragte: „Sag, Alter, was hältst du von der Zukunft?“ Ich sah ihr in die Augen, in denen die ganze Welt flackerte: TikTok, Kriege, Klimawandel, Hoffnung, und ich antwortete ihr nicht sofort. Denn manchmal braucht ein Mensch erst das Schweigen, um die Antwort zu hören. Dann sprach ich zu ihr: „Sie wird kommen, ob du willst oder nicht. Doch wenn du sie nicht gestaltest, wird sie dich gestalten. Denn Globalisierung ist kein Ort, sondern ein Zustand. Und wer glaubt, sie könne ohne Menschlichkeit bestehen, der hat den Menschen längst abgeschafft.“

Aus dem Gibran-Zyklus von Mike Schwarz © 2025 —

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Von der Hoffnung

>In Anbetung könnt ihr nicht höher fliegen als ihre Hoffnungen noch tiefer sinken als ihre Verzweiflung.“ Khalil Gibran<


Hoffnung >verwandt mit engl.: hope, vgl. mittelniederdt.: hopen = hüpfen, >vor Erwartung unruhig) springen, zappeln) ist die umfassende emotionale und handlungsleitende Ausrichtung des Menschen auf Zukunft. Hoffend verhält sich der Mensch positiv zur Zeitlichkeit seiner Existenz. Hoffnung ist stets begleitet von Angst und Sorge. Ihr Gegenteil ist die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit bzw. im schlimmsten Fall die Depression. Im engeren Sinn wird mit Hoffnung auch ein erhofftes Einzelnes >Gesundheit, finanzielle Sicherheit, Erfolg usw.< bezeichnet. >Quelle: www.wikipedia.de<


Hoffnung! Welch ein schlichtes, beinahe schüchternes Wort, und doch trägt es mehr Wucht in sich als so manches Manifest. Ein Wort, das klingt wie eine Pause, ein Atemholen zwischen zwei Niederlagen. Ich habe Menschen gesehen, die alles verloren hatten, Besitz, Stolz, Glauben. und die trotzdem am Morgen aufstanden, weil irgendwo tief drinnen noch ein unsichtbarer Faden zog. Hoffnung, dieser Faden, ist dünn wie Spinnseide und reißt doch nicht. Er trägt, wo jedes rationale Denken längst kapituliert. Ich kenne andere, die alles hatten, Haus, Familie, Applaus, und trotzdem innerlich versteinerten. Hoffnung ist kein Dekor, sie ist Überlebensstrategie. Kein Wellnessprodukt für Esoteriker, sondern der Motor, der die Seele am Laufen hält, wenn alle Sicherungen durchbrennen. Ich erinnere mich an Nächte, in denen die Decke über mir schwerer wog als die Welt darunter. Da hilft kein gutes Zureden, kein Gebet, kein Kopf hoch. Da hilft nur dieses leise, fast kindliche Wissen: Morgen könnte es anders sein. Nicht muss; könnte! Dieses könnte ist die winzigste Form von Hoffnung, und doch eine, die ganze Leben rettet.

Ich erinnere mich, wie Hoffnung in der Kindheit noch nach Zimt roch. Sie kam in Form kleiner Fenster im Adventskalender, hinter denen Schokolade und ein Stück Zukunft steckten. Hoffnung war das Warten auf den Weihnachtsmann, auf Schnee, auf den Augenblick, in dem die Eltern für einen kurzen Moment wieder lächeln. Damals war Hoffnung etwas, das man mit den Händen greifen konnte, ein bunt verpacktes Versprechen, ein Stück Zukunft im glänzenden Papier. Manchmal reichte schon das Licht einer Kerze, um zu glauben, dass das Leben gut werden könnte. Doch diese Hoffnung, sie wurde mir genommen. Von grausamen Prügelnonnen in einem Aachener Kinderheim der fünfziger Jahre.

Als Siebenjähriger kannte ich keine Hoffnung. Nur Angst. Nur den Geschmack von Angst und kaltem Eintopf. Brutal zerstört, gedemütigt, geprügelt, mit Essensentzug bestraft und seelisch verwahrlost. Durch Christen, die täglich Hoffnung predigten. Heute weiß ich: Die größten Hoffnungen beginnen immer mit dem kleinsten Flackern. Und manchmal braucht es ein halbes Leben, bis man wieder den Mut findet, dieses Flackern als Licht zu erkennen. Wer je am Rand des Aufgebens stand, weiß, dass schon der Gedanke an Möglichkeit genügt, um sich wieder aufzurichten. Hoffnung ist das Flackern des Herzens, wenn der Kopf schon längst dunkel geworden ist.

Die Hoffnung meiner Mutter klang anders. Sie war kein Ruf, sie war ein Seufzer. „Hoffentlich kommst du heil nach Hause“, sagte sie, und meinte damit alles, was sie nicht auszusprechen wagte. Meine Oma hoffte, dass nie wieder Bomben fielen. Sie sprach selten darüber, aber man sah es in ihren Augen, wenn irgendwo ein Flugzeug am Himmel brummte. Diese Generation hatte gelernt, dass Hoffnung nicht laut sein muss, um zu überleben. Sie nähten sie in ihre Herzen wie ein geheimes Futter aus Glauben, Geduld und einem Rest Vertrauen in die Menschlichkeit. Eltern hoffen anders. Sie hoffen für andere, nicht für sich. Sie hoffen, dass ihre Kinder gesund bleiben, dass sie nicht dieselben Fehler machen, dass sie irgendwann erkennen, wie viel Liebe in einem „Pass auf dich auf“ steckt. Diese Hoffnung ist stiller, fast demütig, und sie trägt trotzdem weiter als jedes Gebet. Großeltern schließlich hoffen nicht mehr auf Veränderung, sondern auf Bewahrung. Dass das, was sie säten, nicht umsonst war. Dass jemand ihr Lachen erinnert. Dass ihre Geschichten nicht im Datenmüll der Zeit verloren gehen.

Heute ist Hoffnung eine Seltenheit im Sonderangebot. Zwischen Klimapanik, Kriegen und Algorithmen, die uns sagen, was wir fühlen sollen, scheint sie fast ausverkauft. Und doch: da stehen sie, die Menschen. Sie pflanzen Bäume, sie helfen Fremden, sie glauben an Wahlen, an Wunder, an das Gute im Menschen, obwohl es täglich widerlegt wird. Vielleicht ist das das eigentliche Wunder: dass wir trotz allem nicht aufhören, zu hoffen. Denn wer nicht mehr hofft, hat schon verloren – und wer trotzdem weiter hofft, ist der heimliche Held dieses Jahrhunderts. Heute sagen: „Es ist vorbei.“ Morgen aufwachen und denken: „Vielleicht doch nicht.“ Sie ist die Unverschämtheit des Lebens, sich immer wieder selbst zu erfinden. Und sie ist, wenn man ehrlich ist, der Grund, warum ich schreibe. Denn jedes geschriebene Wort ist ein Beweis dafür, dass ich noch Hoffnung habe. Hoffnung auf Resonanz, auf Verständnis, auf irgendeinen verdammten Funken Verbindung zwischen meinen Synapsen und den Seelen da draußen.

Ich halte Hoffnung für die eleganteste Form der Rebellion. Sie steht auf, wenn alles liegenbleibt. Sie glaubt, wo Vernunft längst gekündigt hat. Und sie flüstert, während alle anderen schreien. Wer sie einmal gespürt hat, lässt sie nicht mehr los. Sie ist das Leise, das lauter ist als jedes Getöse. Und wenn eines Tages die Menschheit sich selbst zu Tode optimiert, dann wird irgendwo ein Kind auf einem Stein sitzen, barfuß, unbeeindruckt vom Rest der Welt, und einen Regenwurm retten. Und dieses Kind wird die Hoffnung sein.

Da stand ein Junge am Fluss und sprach zu mir: „Sprich zu mir von der Hoffnung.“ Und ich antwortete: „Hoffnung ist das Licht, das bleibt, wenn die Nacht schon glaubt, sie habe gewonnen. Sie ist der Atem zwischen zwei Stürzen, das Flimmern einer Kerze im Regen. Du kannst sie nicht halten, nur wärmen. Mit deiner Sehnsucht. Wenn du glaubst, sie sei fort, dann lausche — sie schläft nur in deinem Herzen. Denn Hoffnung stirbt nicht. Sie wandelt sich – in Mut.“

Aus dem Gibran-Zyklus von Mike Schwarz © 2025 —

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